VERSUCH EINES NACHRUFS

Wie schreibt man einen Nachruf auf jemanden, der einem fremd und durch die gemeinsame Krankheit bedingt dennoch irgendwie vertraut war? Keine leichte Aufgabe, aber ich versuche es trotzdem:
Freunde konnte man uns nicht nennen, wir kannten uns ja kaum. Genau genommen haben wir uns nur einmal getroffen. Es war ein heißer Julitag, als ich im Garten eines Espressos auf ihn wartete. Wir waren hier verabredet, weil er von unserer „Alk-Info“-Plattform durch einen gemeinsamen Freund und Journalistenkollegen erfuhr. Und da er nicht nur so wie ich Journalist war sondern auch Alkoholiker, interessierte er sich für eine eventuelle Zusammenarbeit.
Als er kam war ich leicht schockiert. Ich wusste zwar, dass es ihm nicht sehr gut geht, wusste auch, dass er soeben aus einer mehrwöchigen Therapie kam. Aber was mir da entgegenkam war nicht ein um etwa fünf Jahre jüngerer Mann sondern eine Art jung gebliebener Greis. Die Beine wollten nicht so recht, deshalb war sein Gang sehr schleppend. Seine Stimme war so wie sein Körper gebrochen. Die Ausstrahlung war eine Mischung aus versuchtem Optimismus' gepaart mit einer vielleicht schon vor Jahren vollzogenen Resignation. Ein wenig scherzte er mit der Serviererin, bei der er einen Kaffee und ein Mineralwasser bestellte, dann erkundigte er sich, was ich so mache. Ich erzählte ihm von „Alk-Info“ und von meinem Sohn Thomas, der für die Technik, die Fotos und das Layout zuständig ist. Welche Geschichten wir so bringen, erkundigte er sich und mir war klar, dass er sich vor unserem Treffen unsere Web-Seite kein einziges Mal angeschaut hatte. Obwohl er mitmachen wollte?
Er war mal ein sehr erfolgreicher Journalist, aber das ist viele Jahre lang her. War Aufdecker diverser Skandale, arbeitete für große Printmedien, später war er Chefredakteur eines TV-Magazins mit hohen Einschaltquoten. Eines Tages war er dann weg vom Geschehen. Einem Branchenblatt sollte er später erzählen, er benötige eine Auszeit, weil er seinen Körper durch viele Zigaretten und unmäßigem Kaffeegenusses geschädigt hätte. Den Alkohol erwähnte er mit keinem Wort.
Sein Kampf ums (Über)-Leben
Da saß er mir also gegenüber und ich fragte mich, was er für uns tun könne. Ich erzählte ihm von mir, von meinem Leben mit dem Alkohol. Und ich erzählte ihm von den Anonymen Alkoholikern, die ich jahrelang besuchte und die mir damals das (Über)-Leben retteten. Er erzählte mir, dass er schon mehrmals auf Therapie war. Die letzte war erst wenige Tage her. Er erzählte, dass er Leberzirrhose habe, aber das dass nicht so schlimm sei, er könne sehr alt damit werden. Das ist wohl sein Kampf ums Überleben, dachte ich mir, denn ich wusste, wenn die Leber erst mal so weit ist, dauert es keine Jahre mehr, bis sie endgültig versagt.
Er sagte auch, dass das Aufhören mit dem Trinken kein Problem für ihn sei, denn das wäre ledigllich eine Frage der Intelligenz. Und wir beide seien ja nicht die Blödesten, machte er den Versuch eines Komplimentes in meine Richtung.
Dann stand er auf und verabschiedete sich in Richtung Toilette, die sich im Inneren des Espressos befindet. Er kam lange nicht zurück, zu lange. Und als er wiederkam, glaubte ich, eine leichte Fahne zu riechen. Ganz sicher war ich mir jedoch nicht. Wir sprachen weiter, er erzählte, dass er auch so etwas wie mein Sohn und ich es machen starten werde. Ein Konzept dafür hatte er jedoch nicht. Stellen wir zusammen was auf die Beine, meinte er plötzlich. Dass es „Alk-Info“ schon gibt, war ihm offenbar wieder entfallen. Dann ging er nochmals zur Toilette und kam wieder sehr lange nicht zurück.
Bald darauf verabschiedeten wir uns und diesmal war ich mir sicher, dass er auf dem Weg zur Toilette einen Halt bei der Bar eingelegt hatte. Seine Fahne war stärker geworden. War es ein Whisky, oder ein Cognac? Egal, er musste was getrunken haben.
Er war nicht unsympathisch, überhaupt nicht. Aber er tat mir leid. Aber kann ich jemanden, der in diesem Zustand ist, beauftragen, einen Artikel für uns zu recherchieren und zu schreiben? Mir war klar, dass das nicht möglich wäre.
Er hat es hinter sich!
Beim Heimfahren war ich sehr nachdenklich. Und betroffen. Da war jemand schon mehrmals für jeweils zwei, drei Monate auf Therapie und schafft es noch immer nicht. Hat schon eine kaputte Leber und hört noch immer nicht auf. Kann nicht aufhören, weil er sich selbst keine Chance mehr gibt.
Und mir wurde bewusst, welche Gnade ich habe, dass ich nicht mehr trinken muss. Weder heimlich noch öffentlich.
Monate nach dieser Begegnung erfuhr ich, dass er einen Autounfall verursachte. In betrunkenem Zustand.
Und dieser Tage wurde unser gemeinsamer Freund zum Überbringer der Todesnachricht. Er hat es nicht geschafft, er hat es jetzt hinter sich, sagte der Freund und Kollege. Ein Schlaganfall als Folge des jahrelangen Alkoholmissbrauchs hat ihn aus einem Leben gerissen, das längst keines mehr wahr. Überrascht hat mich sein Tod nicht, und das sagt Vieles über den Eindruck, den er bei mir hinterließ. Betroffen gemacht hat mich sein Abtritt aus dem Leben dennoch.
Bei ihm bestätigt sich wieder einmal mehr, dass Alkoholiker, die mit dem Trinken nicht aufhören können, um eine etwa 15 Jahre kürzere Lebenserwartung haben. Bei ihm jedoch waren es wohl etwa 30.
Er hat es jetzt hinter sich! Das wird wohl der einzige Trost für seine Hinterbliebenen sein. Das Leben - und vor allem das Saufen - kann manchmal ganz schön brutal sein.

Ihr Harald Frohnwieser