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SAUFEN OHNE REUE?

Im Internet boomen derzeit die Angebote, den lästigen Kater mittels Pillen, die vor der Party, vor dem Saufgelage eingeworfen werden, zu bekämpfen. Eine tolle Sache – Saufen bis zum Umfallen, aber am nächsten Tag keinen lästigen Brummschädel, der die Konzentration bei der Arbeit stört. Herz was willst du mehr? Alkohol in jeder Menge, und keiner bekommt tags darauf etwas mit. Keine hämischen Kollegen, die blöde Bemerkungen machen („Gestern wohl wieder zu tief ins Glas geschaut, was?“), kein Chef, der zu mehr Mäßigung auffordert, um der Arbeit nachzukommen, keine Kinder, die daheim nur auf Zehenspitzen durchs Haus schleichen dürfen, damit Papas oder Mamas Kopfschmerzen nicht noch unerträglicher werden als sie es ohnehin schon sind.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir es gewohnt sich, gegen alles ein Mittel zu haben. Auf Knopfdruck, wenn es sein muss. Wir sind traurig? Her mit den stimulierenden Muntermacher, die uns in eine Gefühlswelt versetzen, die alles heiter und rosig aussehen lässt. Wir sind einsam? Auf ins Internet, wo ich mich mit Unbekannten in den diversen Chatrooms über Gott und die Welt unterhalten kann. Ich habe keine Freunde? Ein absolutes No-Go, ich bin ja bei Facebook, wo ich stolz ein paar Hundert friends für mich verbuchen kann.
Wir sitzen längst in einen D-Zug, der uns so schnell wie es nur geht durchs Leben bringt. Keine Ahnung, wo es hingeht, dafür aber schneller dort zu sein, sang sinngemäß der Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger vor mehr als 50 Jahren, der leider selbst viel zu schnell in Richtung Himmel fuhr, weil er zeit seines Lebens mehr Alkohol trank, als es seinem Körper guttat.
Vielleicht hätte Qualtinger auch zu diesen Anti-Kater-Pillen gegriffen, hätte es sie damals schon gegeben, wer weiß? Aber zum Alkoholiker wäre er so oder so geworden, ob mit Kopfschmerzen oder ohne.
Jetzt also eine Pille, die einen nicht mehr spüren lässt, dass man am Abend zuvor zu ausgiebig gefeiert hat, allein oder mit Freunden. Schön, werden die einen sagen, endlich kann ich saufen ohne mir am nächsten Tag zu schwören, dass ich Wodka, Bier oder Wein eine Zeitlang stehen lassen werde. Gefährlich, sagen hingegen Suchtspezialisten, die davor warnen, sich nun hemmungslos – und wenn es sein muss – Tag für Tag zu betrinken, ohne die Konsequenzen zu spüren. Man will ja seinen Spaß, und da ist es nur lästig, wenn der Körper aufmuckst und sagt, Freund, gestern hast du eindeutig zu viel erwischt. Ein Spaßverderber, der Körper, der einen davon abhalten will, sich dem Feiern hinzugeben. Party, bis zum Umfallen, und am nächsten Tag fit to work.
Feiern ohne Reue. Oder doch nicht?
Die Geschäftsführerin einer Firma, die die Kater-Pillen herstellt, meinte zwar in einem Interview, dass es in der Verantwortung der Erwachsenen läge, die Jugendlichen über die Risiken eines zu hohen Alkoholkonsums aufzuklären, aber wer klärt die Erwachsenen auf? Es sind ja nicht nur Schüler oder Lehrlinge, die lange Partynächte ohne Schaden überstehen wollen, es gibt ja auch genug Männer und Frauen, die dem Studentenleben längst entwachsen sind, und trotzdem feiern wollen. Möglichst oft, versteht sich.
In deutschsprachigen Raum gibt es mehrere Millionen Alkoholkranke, die davon ein Lied singen können. Die wissen, was es heißt, nicht nur Nacht für Nacht, sondern auch Tag für Tag Alkohol zu trinken. Nicht weil sie es möchten, sondern weil sie es längst müssen. Die jeden Morgen verzweifelt nach Trinkbarem in der Wohnung suchen, die von Entzugserscheinungen geplagt schwitzend und zitternd die Flasche, in der noch Restalkohol ist, öffnen, die längst nicht mehr arbeiten können, weil sie schon aus zu vielen Firmen wegen ungewöhnlich hoher Krankenstände raus geflogen sind. Menschen, die längst keinen Kater mehr bekommen, weil sie geeicht sind und die nur noch eine Chance auf ein besseres Leben haben – das erste Glas stehen zu lassen. Beim zweiten schaffen sie es nicht mehr.
Die Folgen sind nur eine Frage der Zeit
Diese Menschen wünschen sich, so denke ich, sicher, sie hätten früher mehr auf die Warnsignale ihres Körpers gehört, hätten nicht den einen Rausch durch den nächsten ersetzt, obwohl sie vor lauter Kopfschmerzen nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf steht. Diese Menschen wünschen sich längst, sie hätten die Zeit ein wenig entschleunigt und Pausen eingelegt beim Trinken. Jetzt haben sie diese Zeit nicht mehr. Jetzt hilft nur noch abstinent leben. Oder Draufgehen.
Die Pillen gegen den Kater versprechen uns wilde Partynächte ohne Folgen. Zumindest ohne körperlichen Folgen, und das auch nur auf Zeit. Denn reihen sich regelmäßig Party an Party, geht der Wein nahtlos in Wodka über, wird das Bier schon zum Frühstück getrunken, dann ist es wie das Amen im Gebet, dass die Folgen kommen: Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, Entzündung der Magenschleimhaut, epileptische Anfälle, zerrüttetes Nervensystem, Wahnvorstellungen bis hin zur allseits bekannten Leberzirrhose.
Aber wenigstens Kopfschmerzen hat man keine. Dafür sorgen schon die Pillen aus dem Internet. Wie beruhigend.

Ihr Harald Frohnwieser