KONTROLLIERTE VORSÄTZE

Wie Forscher nun herausfanden, eignet sich der Montag am Besten, um gute Vorsätze in die Tat umzusetzen. Auch der Neujahrstag ist bekanntlich ein beliebtes Datum wenn es darum geht, dass ab sofort weniger geraucht, gegessen und getrunken wird. Womit wir schon beim Thema weniger trinken sind. Denn dass ist jetzt, wenn schon nicht in aller, dann dennoch in vieler Therapeuten-Munde. Als Alkoholiker muss man nicht mehr auf den „Genuss“ von Alkohol gänzlich verzichten, man kann nun erlernen, zu einem freudvollen Trinken zurückzukehren. Wobei die Frage gestellt werden muss, ob ein Alkoholiker, der schon am frühen Morgen mit zitternden Fingern ein Glas einen Fusel in sich hineinschüttet, nur um so weit zu funktionieren, dass er die nötigsten Dinge bewältigen kann, mit dem Alkohol noch etwas Freudvolles verbindet.
Kürzlich rief mich eine gute Freundin an, die mein Alkoholproblem sehr früh erkannte und es damals, vor vielen Jahren, auch direkt ansprach. Das war mir sehr peinlich, geholfen hat es freilich nichts. Vor mir lag ein noch jahrelanger Leidensweg mit vielen Krankenhausaufenthalten und Besuchen in den diversen psychiatrischen Kliniken.
Das alles ist schon sehr lange her und heute lebe ich ein zufriedenes, ausgefülltes und vor allem trockenes Leben. Warum ich davon berichte? Ganz einfach, besagte Freundin erzählte mir am Telefon u.a., dass sie alkoholfreien Wein getrunken hatte, der ihr gut schmeckte. „Für mich wäre das nichts“, sagte ich daraufhin und erklärte, dass mich der Rebensaft, wenn auch alkoholfrei, doch zu sehr an einen „richtigen“ Wein erinnern würde. Und da möchte ich nie mehr andocken, sagte ich. Meine Bekannte meinte daraufhin: „Das ist jetzt sowieso anders, denn auch Du könntest jetzt, wie man überall hört, wieder trinken, halt kontrolliert.“
Genau das ist der Punkt. Kontrolliertes Trinken (siehe auch „Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich“) scheint nicht nur die neue Zauberformel in der Alkoholtherapie zu sein, sie ist auch in aller Munde. Was diese „Hexenmeister“, die diese Formel gerne und lautstark propagieren, bei chronisch kranken Alkoholikern damit anrichten, ist ihnen anscheinend nicht bewusst. Hermann Hofstätter, der Leiter der Selbsthilfegruppe „Blaues Kreuz“ in Wien erzählt, dass immer öfter Alkoholiker in seine Beratungsstelle kommen und nun von ihm wissen wollen, wie das denn so geht mit dem weniger, sprich kontrolliertem Trinken. Da stößt auch ein Fachmann, der schon vielen Alkoholikern und deren Angehörigen helfen konnte, an seine Grenzen.
Reicht die Hälfte?
Wer einmal an Alkoholismus erkrankt ist, schafft es nicht, nur die Hälfte von dem zu trinken, was er in seiner aktiven Zeit als Alkoholiker Tag für Tag in sich hineingeschüttet hatte. Und, nehmen wir mal an, der- oder diejenige trank jeden Tag zwei Liter Wein, zehn Flaschen Bier und einen halben Liter Wein, dann mag die Hälfte davon für Ihn oder für sie zwar ein (kleiner) Erfolg sein, ist aber für Körper und Geist immer noch viel zu viel. Und es stellt sich die Frage, wie lange es wohl dauert, bis er/sie wieder das gewohnte Quantum tagtäglich trinkt.
Für so manche Therapeuten und Suchtexperten mag es vielleicht deprimierend sein, dass Alkoholismus eine unheilbare Krankheit ist. Die man nur stoppen, aber nie besiegen kann. Wer einmal die Grenze zur Sucht überschritten hat, wird nie wieder normal mit dem Alkohol umgehen können, dafür sorgt schon das Suchtgedächtnis. Ärzte wollen heilen, wollen die Menschen gesund machen, das ist verständlich. Bei einem Alkoholiker aber müssen sie, so wie der Betroffene auch, kapitulieren. Das beinhaltet auch der 1. Schritt des Zwölf-Schritte-Programms der Anonymen Alkoholiker: „Wir gaben zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind und unser Leben nicht mehr meistern konnten.“ Ein sehr gescheiter Satz, der zwei verschiedene Zeiten zum Inhalt hat: Erstens ist man (und nicht „war“ man) dem Alkohol gegenüber machtlos, und zweitens „konnte“ man das Leben nicht mehr meistern, was aber heißt, dass man es wieder kann, sobald man erkannt hat, dass man keinen Alkohol mehr trinken darf oder muss, je nachdem, wie viel der Alkohol schon angerichtet hat.
Fragen über Fragen
Kontrolliertes Trinken ist also für einen Alkoholiker unmöglich, denn dem Alkohol gegenüber wird ein Alkoholiker wohl immer machtlos bleiben. Außerdem stelle ich mir dieses eingeteilte Trinken ziemlich stressig vor. Wenn ich heute ein Glas Wein getrunken habe, wie viel Prozent an Alkohol darf ich dann heute noch zu mir nehmen? Geht sich ein kleines Bier noch aus, wenn ich nach dem Essen noch einen Magenbitter brauche? Kann ich statt dem Magenbitter noch zwei Gläser Wein trinken, oder vielleicht sogar ein drittes als Gute-Nacht-Gläschen? Darf ich am Sonntag schon mein Quantum für den Montag, an dem ich dann abstinent bin, trinken? Und wie funktioniert das mit dem Alkohol, den ich daheim habe und mir akribisch einteile, wenn ich nachts nicht schlafen kann? Ist der Gang zum Kühlschrank um 2 Uhr in der Nacht nicht einfacher als wenn ich mich anziehen, die Stiegen runtergehen und mir erst eine Bar suchen muss, die um diese Zeit noch offen hat?
Maximal 3 Prozent
Gerade wer erst sein Trinken stoppen konnte und sich durch manch qualvolle, weil schlaflose Nacht quält, ist am nächsten Tag froh, dass er keinen Alkohol daheim hat und deshalb auch nicht in Versuchung kam. Da können auch die noch so kontrolliertesten Vorsätze ins Leere gehen, wenn man den Feind im Haus hat.
Kontrolliertes Trinken mag für jene, die erst ganz am Anfang ihrer möglichen Alkoholkarriere stehen, Sinn haben, aber nur für die. Und das sind, so der ärztliche Leiter der renommierten Forel-Klinik in der Schweiz, Dr. Christoph Schwejda, gerade einmal drei Prozent (siehe auch „Die Entdeckung der Abstinenz“). Der bekannte Naturheilmediziner Ruediger Dahlke (siehe auch „Der Politik traue ich bei der Suchtbekämpfung nichts zu“) stoßt ins selbe Horn: „Ich habe in meiner gesamten ärztlichen Laufbahn nur zwei Mal erlebt, dass ein Alkoholiker wieder kontrolliert trinken konnte, daher würde ich das Kontrollierte Trinken nie propagieren“, warnte er im „Alk-Info“-Interview vor der großen Euphorie rund um dieses Thema. Nachsatz: „Wenn man weiß, dass von einer Airline 98 Prozent aller Flugzeuge abstürzen und nur zwei Prozent ankommen, wer würde noch damit fliegen?“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Nur noch so viel: Alle, die jetzt das Kontrollierte Trinken propagieren sollten nicht vergessen hinzuzufügen, dass das nur für die Wenigsten einen Sinn macht. Für alle anderen, und das sind 97 Prozent aller Betroffenen, ist es gefährlich, falsche Hoffnungen zu wecken, die nicht erfüllt werden können. Mitunter sogar lebensgefährlich.
Deshalb sollten Alkoholiker ihre guten Vorsätze fassen, trocken zu leben. Tag für Tag und nicht nur zu Neujahr oder an den Montagen.

Ihr Harald Frohnwieser