Psychopharmaka – Fluch oder Segen?
„Manchmal ein sehr mühsamer Prozess…“

von Harald Frohnwieser

Sie machen abhängig, verändern die Persönlichkeit und ihre Wirkung ist ohnehin fraglich. Nicht wenige Menschen, die an einer psychischen Krankheit oder Störung leiden, haben Vorurteile, wenn es um Psychopharmaka geht. Dazu muss man wissen, dass 99 Prozent aller psychiatrischen Behandlungen nicht in einer Klinik, sondern bei einem niedergelassenen PsychiaterIn stattfinden. „Psychopharmaka – Fluch oder Segen?“ - unter diesem Motto stand deshalb das 3. Presseforum des dänischen Pharmaunternehmens Lundbeck in Wien statt. Vier ÄrztInnen erzählten ausführlich über die Wirkung, die Mythen und die manchmal sehr hohe Notwendigkeit von Medikamenten, die PatientInnen verschrieben werden, die mit Depressionen, Angstzuständen, Burnout oder mit Alkoholproblemen zu ihnen kommen.

Dr. Georg Schönbeck„Herr Doktor, bitte helfen Sie mir. Aber Medikamente will ich keine nehmen!“ Dr. Georg Schönbeck ist niedergelassener Psychiater im 9. Wiener Gemeindebezirk und hat diesen Satz schon oft gehört. Nicht ganz zu Unrecht, wie er einräumt. „Die Medikamente der 1. Generation, die es vor etwa 40 Jahren gab, waren ziemlich toxisch und hatten so starke Nebenwirkungen, dass man sich mitunter sogar damit umbringen konnte. Das sei inzwischen viel besser geworden, sagt er, die modernen Medikamente, die es jetzt gibt, können bei psychischen Erkrankungen sehr gut unterstützen. Warum gibt aber immer noch so große Vorurteile gegenüber Medikamenten, die in die Psyche der Menschen eingreifen? Dr. Schönbeck hat dafür folgende Erklärung: Viele erleben die Psychopharmaka-Einnahme als persönliche Niederlage, es ist nicht nur für den Betroffenen oft schwierig, gesund und krank zu unterscheiden, auch für den Arzt stellt dies eine Herausforderung dar und eine schlechte Presse sowie negative Erfahrungen bei sich selbst oder bei nahestehenden Personen erzeugen ein Misstrauen. Schönbeck weiter: „Jede psychische Erkrankung, wie zum Beispiel eine Depression, ist im Grunde genommen eine gesunde Reaktion. Aber in dem Moment, in dem ein Patient zu mir kommt sage ich, ist er oder sie krank, das sage ich dann auch. Hier muss man unterstützend eingreifen, nicht nur Medikamente verschreiben, sondern auch zu einer Psychotherapie oder die Inanspruchnahme einer Selbsthilfegruppe raten. Nur die Medizin alleine, das gibt es bei mir nicht. Das alles ist natürlich meist ein sehr mühsamer Weg.“
Für den Psychiater ist es unerlässlich, seine PatientInnen über Vor- und Nachteile der von ihm verschriebenen Psychopharmaka umfassend aufzuklären: „Ein chirurgischer Patient würde sich ja auch nicht ohne Vorbereitung, Untersuchung und Aufklärung operieren lassen.“
Kritische Haltung
Auch die Leiterin der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am LKH Villach, Prim. Dr. Christa Radoš, weiß über die Vorurteile von Psychopharmaka Bescheid: „Während in anderen medizinischen Disziplinen die medikamentöse Therapie eine relativ hohe Akzeptanz findet und Innovationen überwiegend positiv wahrgenommen werden, ist die Haltung gegenüber Psychopharmaka deutlich kritischer.“ Dies spieglePrim. Dr. Christa Radoš und Univ.-Prof. Dr. Michael Freissmuth sich im allgemeinen Diskurs wieder und Betroffene und Angehörige blieben davon nicht ungerührt, ist sie überzeugt. Dazu komme, so Radoš weiter, dass die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen nach wie vor sehr hoch ist. Zum Vorurteil, dass Psychopharmaka abhängig machen, sagt die Ärztin: „Die heute zur Behandlung eingesetzten Medikamente, z.B. Antidepressiva, machen nicht abhängig und können, auch wenn sie über einen längeren Zeitraum eingenommen wurden, problemlos wieder abgesetzt werden.“ Nachsatz: „Gewöhnungseffekte oder eine eigenmächtige Dosissteigerungen, wie sie bei Abhängigkeitserkrankungen üblich sind, kommen daher bei der Einnahme dieser Medikamente nicht vor.“ Nur die Tranquilizer, so Christa Radoš weiter, machen abhängig und werden von verantwortungsbewussten Ärzten nur noch dann verschrieben, wenn ihr Einsatz wirklich notwendig ist.
Etwas Geduld ist notwendig
Was aber sind Psychopharmaka genau und was können sie bewirken? Dazu Univ. Prof. Dr. Michael Freissmuth von der MedUni Wien: „Als Psychopharmaka werden nur Arzneistoffe bezeichnet, die Angststörungen, Störungen der Stimmung und Wahrnehmung sowie wahnhaftes Erleben und Denkstörungen beeinflussen.“ Patienten, die sich eine rasche Heilung ihrer Störungen erwarten, müssen sich ein wenig in Geduld üben, es dauert meist zwei Wochen, bis die volle Wirkung eintritt. „Das Gehirn ist ein plastisches Organ, in dem synaptische Kontakte ständig neu organisiert werden. Die Nervenzellen lernen mit dem neuen Input fertig zu werden, sie werden reprogrammiert, weil sich ihre Genexpression ändert. Und das dauert eben.“ Was unerwünschte Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Schweißausbruch oder leichter Schwinde betrifft, kann der Arzt beruhigen – nach wenigen Tagen sind sie meist verschwunden. Übrigens: Die meisten Psychopharmaka wurde, so Freissmuth, zufällig entdeckt. Ob eine Änderung des Lebensstils Psychopharmaka ersetzen können? „Jede Änderung der Gewohnheiten, zum Beispiel dass man mehr Sport betreibt, haben einen positiven Einfluss auf die Psyche“, so der Professor, der auch betont, dass sich die Lichttherapie, wenn sie richtig angewendet wird, durchaus bewährt hat bei der Bekämpfung von Depressionen.
Aber nicht immer kommt man ohne Tabletten aus. „In manchen Fällen sind eine akute psychiatrische Intervention und der Einsatz von Psychopharmaka unbedingt nötig“, so der Mediziner, der auch betont, dass dieUniv.-Doz. Dr. Margot Schmitz modernen Medikamente meist sehr gut vertragen werden. „Seit ihre Wirkungsmechanismen bekannt sind, kann man gezielt nach Substanzen suchen, die nur an die richtige Zielstruktur binden“, so Freissmuth.
Auch Univ. Dozentin Dr. Margot Schmitz vom Institut für Psychosomatik in Wien setzt auf den Faktor Zeit: „Die Erfahrung zeigt, dass bei der Behandlung die Therapietreue sehr wichtig ist. Die Erfahrung zeigt, dass jede Therapie, für die mindestens ein halbes Jahr in Anspruch genommen wird, eine Verbesserung der Ausgangssituation bewirkt, unabhängig davon, ob es eine pharmakologische oder psychotherapeutische Therapie handelt.“
Risikogruppen
Die meisten Patienten, die eine Therapie aufgrund einer psychischen Erkrankung in Anspruch nehmen, sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Aber was das richtige Medikament für jeden Einzelnen ist, ist schwer zu finden, weil jeder etwas anderes brauche, so Schmitz, die einräumt, dass es nicht möglich sei, einem Psychiater emotionslos zu begegnen. Probleme, eine Therapie erfolgreich zu beenden, sieht Schmitz darin, wenn man arm ist, und sich keinen Psychiater oder Therapeuten auf eine längere Dauer leisten kann, wenn der PatientIn über wenig Bildung verfügt und mit dem Arzt daher nicht ausreichend kommunizieren kann, ihn nicht versteht, wenn es religiöse Vorbehalte gegenüber Psychopharmaka gibt oder man über eine überzogene Risikoangst verfügt.
„Wir sind angewiesen darauf, dass die Patienten gesund werden wollen“, sagt Georg Schönbeck, „das ist aber leider nicht immer gegeben.“ Und weiter: „Wir können die Patienten nur begleiten auf dem Weg in die Gesundheit. Wir sind nicht die Ärzte, die wissen, wo es lang geht, zum Glück. Wir versuchen daher, die PatientInnen zu ExpertInnen zu machen. Wir können ihm/ihr einen Rahmen geben, damit er/sie beginnt, mit sich selber umzugehen.“ Wenn das nicht der Fall ist, dann stoße jeder Psychiater an seine Grenzen: „Wenn mich ein Alkoholiker um Hilfe bittet, weil er unter seinem Trinkverhalten leidet, dann aber sagt, ,aber weiter trinken möchte ich schon', was um alles in der Welt soll ich dann noch tun? Ich kann ihm nur sagen, dass er zum Wirt nebenan gehen soll, da ist es billiger als bei mir…“

Fotos: Harald Schenk (3)