Phil arbeitet als Zivildiener mit Alkoholikern
Ein Freund, der ihnen zuhört

von Harald Frohnwieser

Er ist 19 Jahre alt, hat das Gymnasium erfolgreich absolviert und wird demnächst in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien Biologie studieren. Doch bis es soweit ist, muss Phil noch den Zivildienst hinter sich bringen. Und das ist für ihn ein ganz besonderer Dienst: Phil arbeitet in der von Cäcilia Corti gegründeten Vinzenz-Gemeinschaft, wo er Obdachlose und Alkoholiker betreut. Er wird mit Schicksalen konfrontiert, die ihn mitunter sehr beschäftigen, die ihm unter die Haut gehen. „Es berührt mich schon sehr, was mir die Leute so alles erzählen“, sagt er. Doch der junge Mann sieht das alles positiv: „Ich kann zwar ihr Schicksal nicht ändern, aber ich kann für sie da sein.“ Wie seine Arbeit aussieht, was ihm die Alkoholkranken erzählen und wie der Zivildienst seine Sichtweise auf den Alkohol beeinflusst erzählt er im „Alk-Info“-Interview.

Phil Palle arbeitet als Zivildiener„Alk-Info“: Phil, wie sieht deine Arbeit für die Vinzi-Gemeinschaft genau aus?
Phil: Ich arbeite in zwei verschiedenen Häusern. Hier in der Vinzi-Chance im 9. Bezirk arbeite ich mit Obdachlose in der Werkstätte, die eingerichtet wurde, damit sie am Tag etwas Sinnvolles tun können. Ich bin so etwas wie die Kontaktstelle zum Büro. Ich bespreche in der Gruppe, was man besser machen könnte, springe ein, wenn ein Ehrenamtlicher ausfällt, erledige Botengänge. Meine Arbeit ist wirklich sehr abwechslungsreich.

Sind da auch Alkoholiker?
Nein, bei der Vinzi-Chance nicht, weil das gefährlich sein kann beim Bohren, Nähen und Schnitzen. Da sollte man schon nüchtern sein, wenn man hier arbeitet. Aber ich arbeite ja auch in der Vinzi-Rast, das ist eine Wohngemeinschaft für hauptsächlich alkoholkranke Menschen im 12. Bezirk. Da darf man auch Alkohol trinken, weil es diesbezüglich kein Verbot gibt.

Wie kommst du mit ihnen aus?
Das funktioniert sehr gut, obwohl ich manche von ihnen schon oft betrunken erlebt habe. Es kann auch vorkommen, dass es zwischen den Bewohnern kracht, aber das kommt doch in jeder Wohngemeinschaft mal vor. Ich wage von mir zu behaupten, dass ich sehr freundlich zu den Bewohnern hier bin. Die Leute erzählen mir oft sehr viel von sich, von ihrer Kindheit und wie das alles bei ihnen mit dem Alkohol angefangen hat. Viele sind mit dem Alkohol aufgewachsen, da war es alltäglich und selbstverständlich, dass der Opa den Kaffee am Morgen mit Schnaps getrunken hat. Betroffen war ich auch, als einer unserer Bewohner - ein sehr sympathischer und netter Mann, der auch einen Job hatte – nach einer langen Zeit, in der er trocken war, wieder rückfällig wurde. In kürzester Zeit war sein Job weg, aber zum Glück hat er einen Entzug gemacht und wieder eine Arbeit gefunden.

Wie gehst du mit diesen Geschichten, die du hier hörst, um?
Es ist einerseits schon sehr belastend für mich, weil es traurig und schade ist, dass Menschen so etwas durchmachen müssen. Aber ich habe nicht die Kraft und die Möglichkeit, das zu ändern. Es ist eben so wie es ist, aber ich kann jetzt, wo ich in ihr Leben getreten bin, für sie da sein. Ich bin für viele ein Freund, der ihnen zuhört. Ich verstehe mich mit den Leuten wirklich gut. Wenn mir zum Beispiel jemand erzählt, dass seine Freundin an einer Überdosis gestorben ist. So etwas geht mir schon sehr nahe, das lässt mich nicht kalt.

Wie gelingt es dir, dass du all diese Probleme nicht mit nach Hause nimmst?
Mit einer Kollegin, die auch alkoholkrank war, kann ich gut über das, was ich hier erlebe, reden. Sie fragt mich immer wieder, wie es mir damit ergeht. Es gibt bei uns auch Supervision, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich die brauche. Zur Zeit fühle ich mich sehr stabil.

Als du dich für den Zivildienst entschieden hast, war für dich von vornherein klar, dass du mit Obdachlosen und Alkoholikern arbeiten willst?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin durch einen Freund zur Vinzenz-Gemeinschaft gekommen. Da habe ich mir aber sofort gedacht, dass ich meinen Zivildienst dort verbringen will. Bis dahin habe ich mich mit dieser Thematik nicht beschäftigt.VinziRast Ich bin Obdachlosen und Alkoholkranken nie mit Verachtung begegnet, aber so richtig beschäftigt habe ich mich vorher damit auch wieder nicht. Aber dann, als mich der Freund gefragt hat, ob ich diese Stelle haben möchte, habe ich mir gedacht, dass ich mich damit auseinandersetzen sollte, weil Obdachlosigkeit und Alkoholismus ein großes Thema sind und jeden treffen könnte. Wir haben zum Beispiel in unserer Wohngemeinschaft einen Bewohner, der hat sehr viel Geld im Lotto gewonnen und hat dann alles in den Sand gesetzt. Er wurde alkoholkrank, ist völlig abgestürzt und lebt jetzt hier. Jetzt ist er trocken und führt ein normales Leben und wir verstehen uns sehr gut.

Wie haben deine Freunde auf deinen Zivildienst reagiert?
Sehr positiv, die finden das alles super. Sie sagen auch, dass ich einen sehr interessanten Zivildienst habe.

Verändern deine Erfahrungen, die du hier machst, deine Sichtweise auf den Umgang mit dem Alkohol?
Ja, weil ich vorher nicht gewusst habe, dass es möglich ist, solche Mengen Alkohol zu trinken. Mir hat ein Gast erzählt, dass er am Tag eine Palette Bier, eine Flasche Wein und eine Flasche Wodka getrunken hat. Ich wüsste nicht, wie sich das ausgehen könnte bei mir. Dass man so viel trinken kann, hätte ich mir nie gedacht. Erst vor Kurzem hat mir ein betrunkener Hausbewohner erzählt, dass er eh nicht sehr viel getrunken hat, nämlich „nur“ zwölf Flaschen Bier, sechs Mischungen (Wein mit Mineralwasser, Anm.) und eine halbe Flasche Wodka. Welche Mengen trinkt er, wenn er richtig trinkt? Der hat mir auch erzählt, dass für ihn Geld immer gleichzusetzen mit Bier war. Er hat, wenn er etwas Geld hatte, nur daran gedacht, wie viele Flaschen Bier er sich dafür kaufen kann.

Wie ist dein persönlicher Umgang mit dem Alkohol?
Ich habe, da war ich vielleicht 15 oder 16 Jahre alt, manchmal Wodka getrunken, aber ich musste das nie heimlich tun. Ich habe immer, wenn ich was trinken wollte, meinen Vater in der Arbeit angerufen und gefragt, ob ich das darf. Er hat dann immer gesagt, dass er es mir nicht verbieten will, aber dass ich vorsichtig sein soll. Daher war für mich nie der Reiz des Verbotenen da, das hat mir sehr viel gebracht. Einmal, da war ich 16, bin ich ziemlich abgestürzt, weil ich zu viel Wodka und Tequila getrunken hatte, und danach habe ich ein Jahr überhaupt keinen harten Alkohol getrunken. Auch jetzt trinke ich keine harten Sachen, weil sie sehr heimtückisch sind. Wenn man Wodka mit Orangensaft mischt, dann schmeckt man ihn gar nicht, und man trinkt sehr viel davon. Bier kann man gar nicht so viel trinken, weil einem da schneller schlecht wird. Wenn ich mit meinen Freunden fortgehe, dann trinken wir vorher schon etwas, weil der Alkohol in den Lokalen sehr teuer ist. Aber wir trinken nur Bier oder Wein.

Es wird oft behauptet, dass die heutige Jugend zu viel trinkt. Siehst du das auch so?
Ich glaube, dass das von den Medien ziemlich aufgebauscht wird. Das war ja früher auch schon so, nur ist das Thema Alkohol bei Jugendlichen jetzt viel präsenter. Vor 40 Jahren gab es solche Berichterstattung noch nicht. Damals sind ja auch viele Leute mit dem Alkohol aufgewachsen, vor allem am Land. Einer unserer Gäste hat mir erzählt, dass in seiner Trinkflasche, die er für die Schule mitbekam, immer Most drin war. In kleinen Dörfern ist es ja auch oft so, dass es viel zu wenige Kinder gibt. Da kann es schon vorkommen, dass sich ein Zwölfjähriger an eine Gruppe von 16- oder 17-Jährigen anschließt. Da will er dann nicht uncool sein und trinkt mit ihnen mit.

Kommen Jugendliche deiner Meinung nach zu leicht an den Alkohol heran?
Wenn ich so auf die letzten Jahre zurückblicke muss ich sagen, dass es erschreckend ist, wie leicht man als Jugendlicher an den Alkohol herankommt. Ich habe nie einen gefälschten Ausweis gebraucht. Und wenn die Kassiererin im Supermarkt nicht durchgehen lässt, dass man Alkohol kauft, dann wartet man halt ein paar Minuten und stellt sich bei der nächsten Kassa an. Es wird zum Teil schon sehr genau kontrolliert, aber das ist von Supermarkt zu Supermarkt verschieden. Ich glaube auch, dass ein strengeres Jugendschutzgesetz in puncto Alkohol nichts bringen würde. Manche haben sich mit 16 schon voll unter Kontrolle und manche mit 21 noch nicht. Das Alter hat damit, wie viel jemand trinkt, nicht immer was zu tun.

Wenn dein Zivildienst beendet sein wird, welche Gedanken werden dich dann beschäftigen?
Ich hoffe, dass nicht nur ich von unseren Gästen profitiert haben werde, sondern sie auch von mir. Dass sie ein bisschen was mitnehmen können von dem, was ich ihnen gebe.

Fotos: Harald Frohnwieser (1), VinziRast (1)