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Fußballgott Gerd Müller und der Alkohol
Des Bombers größter Sieg

von Harald Frohnwieser

365 Tore in der Bundesliga verhalfen ihm zum Beinamen „Bomber der Nation“. Mit seinem FC Bayern gewann er vier deutsche Meisterschaften, holte viermal den DFB-Pokal, dreimal den Europapokal der Landesmeister und mit der Nationalmannschaft wurde er 1972 Europameister. Den Traum einer ganzen Nation machte er 1974 wahr, als er in der 43. Minute beim WM-Endspiel in München gegen die Niederlande das 2:1 schoss – und damit für Deutschland den Weltmeistertitel holte. Gerd Müller war nun endgültig ein Fußball-Gott, über den fast nur in Superlativen geschrieben wurde. Doch den größten Sieg sollte sich der „Bomber“ nicht auf dem FußballplatzGerd Müller (2006)holen: Der nach seiner aktiven Zeit sinnentleerte Müller konnte nach einem erschreckenden Absturz seinen Kampf gegen den Alkohol gewinnen. Ein Kampf, den er damals, 1992, fast nicht überlebt hätte. Doch Gerd Müller erkrankte viele Jahre später an Demenz und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in einem Pflegeheim im bayrischen Wolfratshausen, wo er am 15. August 2021 im Alter von 75 Jahren verstarb.

„Gerd, wenn du Hilfe brauchst und annimmst, sind wir bereit. Aber wir können dir nur helfen, wenn du dir helfen lassen willst“, beschwor im Herbst 1991 der mittlerweile selbst gefallene und wegen immensen Steuerschulden zum Gefängnis verurteilte damalige FC Bayern-Manager Uli Hoeneß den früheren „Bomber der Nation“. Doch zunächst wiegelte Gerd Müller ab, spielte seinen Alkoholkonsum herunter und gab sich ganz entrüstet: „Ich trink doch nur ein bisschen was.“ Hoeneß glaubte seinem Kumpel zwar kein Wort, meinte aber: „Gut. Das ist okay, wenn du damit kein Problem hast. Aber wenn du wirklich Hilfe brauchst: Diese Tür hier in meinem Büro ist immer für dich offen.“
Der Appell des Managers blieb zunächst erfolglos. So wie die verzweifelten Versuche von Müllers Ehefrau Uschi, ihren Mann vom Alkohol los zu bekommen. Doch die Worte von Hoeneß zeigten dann doch ihre Wirkung. „Nach einigen Wochen kam Gerd und sagte: ,Ja, ich brauche Hilfe, ich habe ein Alkoholproblem'“, erzählt der Fußballmanager gerne.
Im Koma in der Intensivstation
Gerd Müller wurde in die Entzugsklinik Murnau eingeliefert. „Erst hatte ich ein schönes Einzelzimmer, kam an den Tropf, lag im Nachthemd da“, erinnerte sich Müller im Tagebuch seiner Entziehungskur in der „Bild-Zeitung“ vom 8. November 1991. Doch das abrupte Absetzen des Alkohols blieb nicht ohne Folgen, da konnten auch die Psychopharmaka, die man ihm verabreichte, daran nichts ändern. Gerd Müller damals in der „Bild“: „Dann die Intensivstation, diese fünf Tage – null Erinnerung. Für mich sind diese fünf Tage ein schwarzes Loch. Totaler Filmriss. Mein Glück. Aber die Ärzte haben mir erzählt, dass ich mich wie ein Wahnsinniger aufgeführt habe.“ In dieser Zeit rief der behandelnde Arzt beim FC Bayern an: „Herr Hoeneß, Sie brauchen vorerst nicht mehr zu kommen, Herr Müller wird jetzt ins künstliche Koma versetzt.“ Der Fußball-Manager, der Müller fast jeden Tag in der Klinik besucht hatte, dachte sich zwar, dass so etwas bei der Schwere von Müllers Suchterkrankung durchaus normal sein könnte, aber was ihm der Arzt dann am Telefon sagte, ließ bei ihm die Alarmglocken läuten: „Wir glauben und hoffen, dass Herr Müller auch diese Zeit überstehen wird, weil seine Organe sehr gut funktionsfähig sind.“ Dennoch bestand Lebensgefahr, und das wusste Hoeneß, auch wenn es ihm nicht so drastisch mitgeteilt wurde.
Torschützenkönig
Doch wie kam es, dass ein erfolgreicher Sportler, der es bis in den Olymp geschafft hatte, der ein Idol von Millionen Fans war, zum alkoholkranken Wrack wurde? Geboren wurde Gerd Müller kam am 3. November 1945 in Nördlingen in Bayern zur Welt. Als Zwölfjähriger trat er in die C-Jugend des örtlichen Fußballvereins bei, mit 17 gab er sein Debüt in der Herrenmannschaft. Mit seinen vielen Toren, die er schoss, trug er zum Aufstieg des Vereins in die Landesliga bei und zwei Jahre später wurde er von einem Talentsucher des FC Bayern abgeworben.
Schon in seiner ersten Saison bei dem renommierten Fußballclub glänzte der nun 20-jährige Müller mit 14 Toren bei insgesamt 22 Einsätzen. Seinen endgültigen Durchbruch schaffte der junge Sportler in der Saison 1966/67, als er mit 28 Treffern Bundesliga-Torschützenkönig und zum „Fußballer des Jahres“ gekürt wurde. Zwei Auszeichnungen, die er im darauffolgenden Jahr wieder erreichen konnte. 1966 spielte Gerd Müller zum ersten Mal in der Nationalmannschaft, aus der er sich 1974, kurz nachdem er sein Team zum WM-Pokal schoss, verabschiedete.
Seinem FC Bayern blieb er weiterhin treu und wurde nach dem Abgang von Franz Beckenbauer in der Saison 1977/78 neuer Team-Kapitän. 1979 wurde Müller erstmals, seit er für die Bayern spielte, von Trainer Pál Csernai aus sportlichen Gründen ausgewechselt, nur drei Wochen später kündigte er bei den Bayern und erhielt einen gut dotierten Vertrag vom nordamerikanischen Verein Fort Lauderdale Strikers, im Jahr 1981 beendete der einstige „Bomber der Nation“ seine Profilaufbahn als Fußballer. Mit seiner Frau Uschi betrieb er noch bis 1985 sein Steakhouse „Ambry“ in den USA, dann kehrte er, nachdem er mit seinem Unternehmen viel Geld in den Sand gesetzt hatte, heim nach München.
Von der Krise ins Verderben
Ohne eine richtige Aufgabe in seinem Leben zu haben, verbrachte des Ex-Fußballer seine Zeit mit ehemaligen Kumpels des FC Bayern. Und begann zu trinken. „Ich bin in die Krise gekommen“, sagte Müller später, „den ganzen Tag nur rumsitzen und nichts Sinnvolles machen – das war mein Verderben.“ Sein Tagesprogramm bestand nur noch aus ein wenig Tennis, Saunabesuche und Unmengen an Whisky-Cola. Meist schaute er schon kurz nach dem Aufsperren um 18 Uhr in die Szenekneipe des Fernsehreporters Waldemar Hartmann. Doch auch dem TV-Journalisten fiel Müllers zunehmende Alkoholsucht nicht auf, da dieser nie lange blieb und ins nächste Wirtshaus weiterzog. Als Hartmann erfuhr, wie es um den ehemals gefeierten Sportler stand, war er laut eigenen Aussagen „regelrecht geschockt“.
„Plötzlich bist du in der Hölle“
Gerd Müllers ehemaliger Teamkollege Uli Hoeneß, mittlerweile zum FC Bayern-Manager aufgestiegen, bekam alles mit, was mit seinem Kumpel los war. „Bei Prominentenspielen haben sie Gerd abgefüllt und sich dann über ihn lustig gemacht“, erzürnte er sich einmal. Gerd Müller über diese Zeit: „Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. Du bis oben, schwebst im Himmel. Und fällst und fällst. Plötzlich bist du in der Hölle. Ich habe sehr gelitten, und ohne die Hilfe meiner Freunde hätte ich es wohl nicht geschafft.“ Zudem stand die Ehe mit Uschi vor dem Aus, da die Gattin nicht mehr länger zusehen konnte, wie ihr Mann sich Tag für Tag zugrunde richtet.
Soziales Auffangnetz
Seine Freunde, die damals zu ihm standen, waren Franz Beckenbauer, Karlheinz Rummenigge – und eben Uli Hoeneß. Als Gerd Müller die Entzugsklinik verließ, war es der damalige Sportreporter Jürgen Leinemann, der sich mit folgenden Worten an Uli Hoeneß wandte: „Der Entzug war nur der Anfang. Herr Hoeneß, wenn Sie nicht dafür sorgen, Herrn Müller jetzt sozial aufzufangen und eine Aufgabe geben, ist die Gefahr sehr groß, dass er rückfällig wird.“ Hoeneß wusste, dass der Reporter recht hatte. Und so war Müller, als er aus der Therapie kam, wieder beim FC Bayern angestellt, wo er in verschiedenen Funktionen eingesetzt wurde: als Trainer der A-Jugend, als Talentsucher, Sponsorenbetreuer und Stürmer- und Torwarttrainer.
„Wichtiger als der WM-Titel“
„Ich bin vollkommen glücklich, und ich bin beschäftigt“, gab er sich 1993 in einem Interview zufrieden. Und sein ehemaliger Teamkollege Franz Beckenbauer sagte in seiner Laudatio bei Müllers 70. Geburtstag nicht ohne Stolz: „Ich glaube, dass nur ein Prozent der Alkoholkranken es schafft, nach dem ersten Entzug trocken zu bleiben, von daher ist es toll, dass er es gepackt hat.“ Einem Zeitungsreporter sagte Müller nicht ohne berechtigten Stolz: „Dass ich die Sucht bezwungen habe, war mein größter Sieg, das war für mich wichtiger noch als der WM-Titel.“
Doch dann schlug das Schicksal für den „Bomber“ erneut zu - das Fußballidol erkrankte im Jahr 2011 an Alzheimer und kam 2015 in ein Pflegeheim in Wolfratshausen in Bayern, wo er am 15. August 2021 im Alter von 75 Jahren verstarb.

Foto: de.wikipedia.org / Promifotos.de

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