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Seelen-Hochschaubahn einer Ehefrau
24 Jahre an der Seite eines Alkoholikers

von Werner Schneider

24 Jahre an der Seite eines Mannes, der von sich selbst behauptet, seit 40 Jahren Alkoholiker zu sein. Elke P. hat die Tiefen aber auch die Höhen erlebt, die einen Quartalstrinker begleiten. Tiefe Depressionen, Phasen des Spiegeltrinkens, aber auch wieder die Zeiten des Trocken-Seins. Einerseits nährt die Liebe die Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wendet, andererseits sind da die Nullpunkte, in denen man nur noch an Trennung denkt. Elke P. hat mit „Alk-Info“ über ihre Hochschaubahn der Gefühle gesprochen.

„Alk-Info“: Frau Elke P, sie leben seit langer Zeit mit einem Alkoholiker zusammen, wie lange schon?
Elke P.: Seit 24 Jahren.

Und haben Sie in dieser Zeit eine Änderung bemerkt?
Eine Änderung – ja, seit dreieinhalb Jahren ist mein Mann trockener Alkoholiker und geht wöchentlich zu den Anonymen Alkoholikern und findet dort Halt.

Wie haben Sie einander kennen gelernt?
Das war in einem Lokal, in dem selbstverständlich auch Alkohol getrunken wurde.

Hatten Sie das Gefühl, dass Ihr Mann viel trinkt?
Nein, eigentlich nicht, weil Alkohol ja Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist und war. Ich habe ja selbst zur Entspannung nach der Arbeit ein zwei Gläser getrunken. Nein, das Gefühl, dass er zu viel trinkt stellte sich erst viel später ein.

Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass Ihr Mann zu viel trinkt?
Vor 15 Jahren, in Zusammenhang mit der schweren Depression und der schlechten Geschäftslage flüchtete mein Mann immer mehr in den Alkohol und dann war das natürlich auch klar erkennbar.

Ist Ihr Mann gekündigt worden oder war er selbständig – weil Sie sagen ‚schlechte Geschäftslage‘?
Mein Mann war Selbständig und aufgrund seiner depressiven Erkrankung, die auch immer behandelt wurde, er war in Therapie, sowohl in Gesprächstherapie, aber er war auch medikamentös gut eingestellt – aber der Alkohol verstärkte dann noch die Wirkung der Medikamente und damit war die Abwärtsspirale in Gang gesetzt.

Sind auch andere Menschen auf sein Alkoholproblem aufmerksam geworden?
Ja, ein Geschäftspartner und Büronachbar von ihm, den ich angerufen habe, weil sich mein Mann am Telefon nicht gemeldet hat, hat mir erzählt, dass er mit einer Flasche Rotwein schlafend auf seine Sofa im Büro liegt und sich schon von oben bis unten angeschüttet hat. Dieser Geschäftspartner hat gesagt: ‚Wenn er jetzt wieder mit dem Alkohol anfängt, dann schaut’s schlecht aus.‘ Da bin ich erschrocken und hellhörig geworden.

Wie haben Sie sich verhalten, als sie bemerkt haben, dass Ihr Gemahl Alkoholiker ist?
Dass er wirklich Alkoholiker ist, wusste ich damals noch nicht, er trank einfach zu viel. Und ich habe ihn darauf angesprochen und er hat es immer bestritten. Irgendwann habe ich dann Flaschen entdeckt, hinter Büchern versteckt, da war es dann für mich klar, denn das sind eigentlich Symptome eines Alkoholikers, das immer wieder bestreiten ist ja auch ein klassisches Symptom, aber man ist hilflos und machtlos.

Hat Ihr Mann je einen Entzug gemacht?
Mein Mann hat keinen Entzug in der Klinik gemacht dafür aber mehrmals einen ‚kalten Entzug‘ oder wie man das nennt. Er hat zu Hause den Medikamenten-Alkohol-Mix unterbrochen und er hat es auch geschafft lange Phasen – bis zu einem Jahr – nichts zu trinken.

Das heißt, Ihr Gatte ist Quartalstrinker?
Ja, er ist Quartalstrinker, und deswegen war es mir auch nie wirklich klar, ob er ein Alkoholiker ist. Ich kenne die vielen Formen des Alkoholismus, obwohl ich keine Expertin bin. Und weil er dazwischen sehr lange Zeit immer nichts getrunken hat, habe ich auch geglaubt, dass das nicht Alkoholismus ist.

Das heißt, Sie haben andere Alkoholiker kennen gelernt?
Ja, ein früherer guter Bekannter, der bei einer Fertighausfirma gearbeitet hat, ist immer schon früh morgens auf ein paar Spritzer gegangen und war tagsüber immer mit seiner Aktentasche von Lokal zu Lokal unterwegs. Sein Kollege hat mich gebeten ihn darauf anzureden, aber er hat natürlich alles abgestritten.

Und als Sie bei Ihrem Mann bemerkt haben, dass es Alkoholismus ist und er zu den Anonymen Alkoholikern gegangen ist, hat es Sie da interessiert zu Al-Anon (Hilfsgruppe für Angehörige, Anm.) zu gehen?
Ich habe nicht einmal gewusst, dass es das gibt. Ich war auf mich alleine gestellt.

Hatten Sie während der Trinkzeit Ihres Mannes die Möglichkeit sich mit irgendjemandem auszusprechen, oder mussten sie das alles mit sich alleine ausmachen?
Ich hatte kaum die Möglichkeit einer Aussprache. Ich habe geglaubt, wenn kein Alkohol zu Hause ist, dann kann man seine Trinkerei verhindern. Das funktioniert so sicher nicht. Wenn ein Alkoholiker Zugang zum Alkohol sucht, dann findet er immer einen Weg. Das ist sehr leicht, denn der Alkohol ist gesellschaftlich akzeptiert, man ist gesellig, das wird also unter dem Deckmantel der Geselligkeit toleriert, Menschen stehen an den Theken stundenlang und es wird immer getrunken.

Das heißt. Ihr Mann hat nicht heimlich getrunken sondern in der Öffentlichkeit…
…zum Teil in der Öffentlichkeit. Zu Hause hat er fast nie getrunken und wenn, dann nur heimlich. Er hat geglaubt ich merke das nicht. Er hat immer gesagt: ‚Schau, ich hauche dich an.‘ Und er hat gemeint, ich merke nicht, wenn er Wodka getrunken hat. Aber auch den riecht man.

Was glauben Sie, wann hat Ihr Gatte bemerkt, dass er dringend Hilfe benötigt?
Er hat einen Verkehrsunfall gebaut, mit zum Glück nur zwei leicht verletzten Personen, aber dann ist er wach geworden. Da ist ihm schlagartig bewusst geworden, welches Glück im Unglück er da noch hatte.

…und er hat auch erkannt, dass er eine Gefahr für die Menschheit ist…
…ja, er hat erkannt, dass er eine große Gefahr für die Menschheit ist, denn er hat ja immer, wenn er betrunken gefahren ist, andere Menschen gefährdet.

Was hat sich in Ihrem Leben geändert, seit Ihr Mann trocken ist?
Unser Zusammenleben ist wesentlich harmonischer, ich habe keine Angst mehr, es ist auch sicher besser mit den Depressionen wenn nicht ständig Alkohol mit den Medikamenten kombiniert wird.

Haben Sie in der langen Zeit Ihres Zusammenlebens mit einem Alkoholiker auch an Trennung gedacht?
Schon. Phasenweise immer, weil der Moment kommt, wo das an die eigene Gesundheit geht. Und wenn keine Änderung in Sicht ist, wenn keine Einsicht vorhanden ist, dann wäre ich irgendwann gegangen.