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Alkohol und Schizophrenie
„So heftig war der Schub noch nie…“

von Harald Frohnwieser

„Diese Unglücklichen haben nicht nur eine minderwertige Gesundheit, sie haben auch eine minderwertige Krankheit“, schreibt der österreichische Schriftsteller Robert Musil in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ über Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind. Weltweit sind das ungefähr 1 Prozent, quer durch alle soziale Schichten. Doch um diese Erkrankung ranken es vieleVincent van Gogh, hat sich vermutlich im ersten Schub seiner Schizophrenie, einen Teil seines linken Ohres abschnitt um seinen akustischen Symptomen her zu werden (Selbstbildnis, 1889) Mythen. Eine davon ist, dass Schizophrene eine gespaltene Persönlichkeit wie im Roman „Dr. Jeckyll und Mr. Hyde“ haben. Was freilich nicht stimmt. Und: Schizophrenie-Patienten sind nicht gewalttätiger als andere Menschen auch. Grund genug für den dänischen Pharmakonzern Lundbeck, Journalisten in Wien zu einem Presseforum zum Thema „Leben mit Schizophrenie“ zu bitten. Eines gleich vorweg: Zu viel Alkohol und andere Suchtmittel wie etwa Cannabis oder LSD können schizophrene Schübe auslösen.

Erwin* liegt am Fußboden und bekommt von der Welt um ihn herum kaum etwas mit. Die Wohnung ist hell beleuchtet, Tag und Nacht und die Heizung läuft auf Hochtouren. Der Teppichboden ist voll von kleinen Brandflecken, die Zigarettenstummel liegen verstreut in der ganzen Wohnung. Ebenso kleine, ausgetrunkene Flaschen Magenbitter. Der 35-jährige hochintelligente Mann ist abgemagert, weil er kaum noch etwas isst. Denn: Erwin hatte in den vergangenen Monaten die Wirkungen des Alkohols für sich entdeckt. Eine Wirkung, die die Symptome seiner Schizophrenie auf angenehme Weise lindert, zumindest vorübergehend. Erwin leidet seit seinem 18. Lebensjahr an seiner Erkrankung. Immer wieder hatte er schizophrene Schübe, die jedoch meist nur wenige Wochen andauernden. In der Psychiatrie, in der der mehrmals stationär behandelt wurde, konnte man die Krankheit immer wieder in den Griff bekommen, wenn auch nicht auf Dauer.
Magenbitter als einziger Freund
Doch diesmal dauert der Schub schon mehr als ein halbes Jahr. Und ist schlimmer denn je zuvor. Erwin hörtStrukturformel von Dopamin Stimmen, ununterbrochen. Sie sagen ihm, dass er sterben werde müssen, dass er nicht wert sei zu leben. Das war schon öfter so, doch anders als früher lässt Erwin niemanden mehr an sich heran, auch seine beste Freundin nicht. „Wenn wir uns sehen, dann beschimpft sie mich, macht mir diffuse Vorhaltungen, beschuldigt mich, dass ich ihm schaden wolle oder dass ich ihm gar den Tod wünschen würde“, erzählt sie. Renate kommt nicht mehr an ihn heran. Erwins bester Freund ist jetzt der Magenschnaps, dem er sich voll hingibt. Begonnen hat es damit, dass eine Stimme Erwin dazu riet, sich mit ihm einzureiben. Das solle, so die Stimme, körperliche Schmerzen vertreiben. Erwin besorgte sich den Schnaps, den er jedoch bald lieber trank, als sich mit ihm einzureiben. Die Wirkung war enorm – die Stimmen verschwanden, aber nur für kurze Zeit. Dann waren sie lauter als je zuvor. Ein Teufelskreis begann, und Erwin stand rund um die Uhr unter der Wirkung des Alkohols. „Ich habe schon viele Schübe von ihm mitbekommen“, erzählt Renate, „aber so heftig war es noch nie.“
Alkohol und Cannabis als Risikofaktor
Es gibt viele, die an Schizophrenie erkrankt sind, die versuchen, ihre Symptome, die die Krankheit verursacht, mit Hilfe von Alkohol wegzubekommen, doch auf Dauer gesehen hilft das nichts“, weiß Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker von der Uni Innsbruck, der beim Presseforum des Pharmakonzerns Lundbeck zum Thema „Leben mit Schizophrenie“ einen Vortrag hält. Fleischhacker warnt auch vor dem Konsum vonUniv.-Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker Cannabis: „Früher stand ich diesem Suchtmittel eher offen gegenüber“, sagt er, „doch heute weiß man, dass Cannabiskonsumenten, die zwischen 14 und 18 Jahre alt sind, das vierfache Risiko haben, an einer Schizophrenie zu erkranken.“
Schizophrenie ist eine Erkrankung, um die sich viele Mythen ranken. Das hängt auch damit zusammen, dass sich Menschen, die darunter leiden, während ihrer Krankheitsphasen so stark in ihrem Wahrnehmen, Empfinden und Denken verändern, dass sie auch nahen Angehörigen und guten FreundInnen auf unerklärliche Art und Weise ganz fremd erscheinen“, klärt Fleischhacker auf. Und weiter: „Zu den bekanntesten und häufigsten Symptomen zählen Wahnideen, zum Beispiel im Denken und Handeln von fremden Menschen beeinflusst und gesteuert zu werden oder in telepathischer Weise mit Überirdischen zu kommunizieren, sowie Halluzinationen, vorwiegend im akustischen Bereich.“
Soziales Schicksal
Die genaue Ursache, so Fleischhacker, liege nach wie vor im Dunkeln, aber man kennt heute viele Faktoren, die das Risiko, zu erkranken, bestimmen. Wolfgang Fleischhacker: „Zunehmend klarer wird, dass Menschen, die einerseits genetisch veranlagt belastet sind und andererseits eine vermehrte Dopaminempfindlichkeit haben sowie unter dem Einfluss von unterschiedlichsten Arten von chronischem Stress stehen, eine Risikogruppe für Schizophrenie darstellen. Zu solchen Stressoren zählen z.B. ständige Belastungen in Familie oder Schule, aber auch der Regelmäßige Konsum von Suchtmitteln.“ Auch die deutsche Bundespsychotherapeutenkammer warnt auf ihrer Homepage www.pbtk.de, dass Drogen oder Alkohol das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, erhöhen.
Der Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien, Prim. Dr. Georg Psota, betont in seinem Vortrag, dass Schizophrenie nicht nur ein menschliches, sondern auch soziales Schicksal sei. „Zwar ist die Akzeptanz für eine psychiatrische Behandlung in den letzten Jahren gestiegen, aber im Fall von Schizophrenie haben Angst und soziale Ablehnung sogar noch zugenommen“, berichtet Psota. Schizophrene leiden darunter, dass viele Menschen ihnen aufgrund ihrer Krankheit und dem Mythos, der sie umgibt, kaum Jobs oder Wohnungen anbieten, die meisten Menschen würden sie auch nicht auf ihre Kinder aufpassen lassen wollen. „Die Patienten tragen das aufgrund dieser Ansichten sehr, sehr lange mit sich herum und vertrauen sich niemandem an.“
Gut behandelbar
Dabei ist die Krankheit gut behandelbar und kann mit Antipsychotika, die regulierend in den Dopaminstoffwechsel eingreifen, gut in den Griff bekommen werden. Wolfgang Fleischhacker: „Etwa 70Prim. Dr. Georg Psota Prozent der früh behandelten Ersterkrankten erreichen eine Symptomfreiheit. Zur Aufrechterhaltung dieses Therapieerfolges ist zumeist eine langfristige prophylaktische antipsychotische Therapie vonnöten.“
Voraussetzung ist freilich, die Patienten verzichten auf Alkohol und andere Suchtmittel. In einem Forum für Schizophreniepatienten www.kompetenznetz-schizophrenie.info schreibt ein Betroffener: „Für mich ist Alkohol jetzt tabu. Ich habe sonst Alkohol getrunken und bin ständig wieder in die Klinik gekommen. Erzählt haben mir die Ärzte, dass der Alkohol die Medikamente umstellt oder zumindest in ihrer Wirkung beeinflusst.“
„Der Alkohol nahm mir die Chance, Hilfe zuzulassen“
Die Reaktion einer Frau, deren Lebensgefährte an Schizophrenie erkrankt ist: „Mein Freund weigert sich bisher Medikamente zu nehmen oder gar einen Arzt aufzusuchen.
Aber er trinkt eben gerne sein Bier abends und auch schon mal mehr. Und ich bin halt davon überzeugt, dass es die ganze Sache noch schlimmer macht. Ich denke, ohne Alkohol wären einige Attacken gegen mich humaner verlaufen.“
Erwin ist übrigens frei von seinen quälenden Symptomen, und das schon seit Jahren. Während eines mehrwöchiger Aufenthaltes in einer psychiatrischen Klinik, in die ihn von Verwandten zu Hilfe geholten Polizisten brachten, wurde er medikamentös optimal eingestellt. Übrigens: Einer der beiden Polizisten erwies sich als sehr kompetent und wirkte sehr beruhigend auf Erwin ein. Offensichtlich war der junge Beamte geschult auf dem Gebiet, wie man mit psychisch Kranken am Besten umgeht.
Hin und wieder kann es vorkommen, dass Erwin eine leise Stimme hört, doch der mittlerweile 41-Jährige erhöht in einem solchen Fall seine Dosis um eine halbe Tablette. Und Alkohol trinkt er seit sechs Jahren keinen mehr. „Der hätte mich damals fast umgebracht“, sagt er heute, „denn durch die Wirkung des Schnapses hatte ich lange keine Chance, Hilfe zuzulassen.“

* Name von der Redaktion geändert

Foto: Bridgeman Art Library, London (1) Grafik: commons.wikimedia.org (1)