• Drucken

Suchtkriterien der Deutschen Hautstelle für Suchtfragen
Sieben Faktoren führen zur Abhängigkeit

von Harald Frohnwieser

1,4 Millionen Deutsche gelten offiziell als alkoholkrank, weitere 1,6 Millionen sind knapp daran. Insgesamt ist aber der Alkohol für etwa zehn Millionen Menschen in Deutschland ein Problem. In Österreich sind 360.000 Menschen chronische Alkoholiker, weitere 700.000 werden als gefährdet eingestuft. Das heißt freilich nicht, dass alle anderen Mitmenschen dem Alkohol abgeschworen haben. Trotzdem wird nicht jeder, der gerne trinkt, gleich zum Abhängigen. Die ehemalige stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm, Gabriele Bartsch, erläutert für „Alk-Info“ die sieben wichtigsten Faktoren, die in eine Alkoholsucht führen können.

Warum wird jemand, der gerne und auch viel trinkt, nicht alkoholkrank und warum wird ein anderer, der vielleicht sogar weniger trinkt vom Alkohol physisch und psychisch abhängig? Diese Fragen beschäftigt Mediziner, Psychologen und wohl auch die Betroffenen selbst schon seit vielen Jahren. Eine eindeutige Antwort darauf lässt sich schwer finden, weil es den Alkoholiker schlechthin nicht gibt, da die Vorgeschichten in manchen Bereichen viel zu individuell verlaufen. Fakt ist, dass der Alkohol in unseren Breiten nicht nur jederzeit verfügbar und gesellschaftlich anerkannt ist. „Das ist ein riesiges Problem und legt den Grundstein für eine Sucht“, ist die ehemalige stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), Gabriele Bartsch, überzeugt. Aber das alleine ist noch lange nicht die Ursache der Alkoholkrankheit. Bartsch nennt sieben Faktoren, die in eine Sucht führen können.

* Ein großer Risikofaktor sind zunächst einmal die Männer, die – obwohl die Frauen längst aufholen – immer noch ein doppelt so hohes Risiko haben, an Alkoholismus zu erkranken. „Die Epidemiologie sagt, dass Männer durch die Erziehung oft zu Menschen werden, die glauben, dass sie alles aushalten müssen“, sagt Gabriele Bartsch, „oft gilt die Trinkfestigkeit eines jungen Mannes als ein Indiz dafür, ob er unter Seinesgleichen als richtiger Kerl angesehen wird.“ Somit wird Männern die gesellschaftliche Akzeptanz des Alkohols zum Verhängnis, frei nach dem Spruch „Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein echter Mann“. Gabriele Bartsch sagt im „Alk-Info“-Gespräch auch, dass Jungs zu einer größeren Risikobereitschaft erzogen werden als Mädchen. Aber in einem Punkt hat sich die Erziehung geändert. Gabriele Bartsch: „Früher wuchsen die Kinder kontrollierter auf, es wurden ihnen mehr Grenzen gesetzt. Andererseits waren sie auch wieder unkontrollierter, sie durften in den Wald gehen und dort spielen, die größeren Geschwister passten auf die kleineren auf. Heute haben viele Eltern Angst, dass ihren Kindern etwas passieren könnte, wenn sie nicht ständig in ihrer Nähe sind.“ Ob aus diesem Grund der Alkohol dazu dient, Grenzen auszuloten, kann Bartsch nicht mit Sicherheit sagen, aber: „Möglich wäre es schon.“

* Risikofaktor Nummer zwei ist der Alkoholkonsum in jungen Jahren. Feiern in jungen Jahren gehört einfach zur Jugendkultur. Dazu kommen Trinkspiele auf Partys oder im Internet. Aber das ist riskant, weil das Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist und sich ein jugendlicher Körper sehr schnell an den Alkohol gewöhnt. „Je früher, desto risikoreicher“, weiß Bartsch.

* Stress und Frust stehen auf der Liste der Risikofaktoren auf der dritten Stelle. „Wer unter ständigem Stress steht und diesen mit Hilfe des Alkohols bekämpft, läuft in Gefahr, davon abhängig zu werden“, so die Suchtexpertin. Wenn Alkohol über einem längeren Zeitraum dazu dient, vom Stress wieder runterzukommen, um endlich wieder einschlafen zu können, sich besser zu fühlen, ist nach der Erfahrung von Gabriele Bartsch sehr stark gefährdet. Leider wird in vielen TV- und Kinofilmen vorgegaukelt, dass Alkohol ein idealer Sorgenkiller ist. Gabriele Bartsch: „Das hat eine lange Tradition. Schon in den Schwarzweißfilmen griffen die Helden zur Flasche, wenn sie Probleme hatten. Ich denke da nur an Humphrey Bogart in ,Casablanca'. Leider ist das ein sehr falsches Signal.“

* Vierter Risikofaktor sind unregelmäßige und lange Arbeitszeiten. Hier gibt es so manche Berufsgruppen, die besonders gefährdet sind. Dazu zählen laut Gabriele Bartsch Journalisten, Manager, Mitarbeiter in der Gastronomie sowie Piloten und Zugführer. Gerade letztere sind einem großen Risiko ausgesetzt: „Sie kommen oft nachts irgendwo an, suchen nach der Arbeit nach etwas Entspannung aber Fitnessstudios oder Kinos sind schon geschlossen, es hat nur noch die eine oder andere Kneipe offen. Klar, dass dann Alkohol getrunken wird.“ Die Gefahr, an Alkoholismus zu erkranken ist auch deshalb sehr groß, weil solche Situationen regelmäßig vorkommen. Auch Menschen, die Wechselschichten machen müssen, zählen zu dieser Risikogruppe. „Sie müssen gegen ihre innere Uhr agieren und versuchen, diese mit Alkohol zu beeinflussen“, so die stellvertretende Geschäftsführerin vom DHS. Bartsch rät allen Gefährdeten, ihre Situation mit Entspannungsübungen oder Spaziergängen positiv zu beeinflussen.

* Dazugehören wollen ist der fünfte Risikofaktor. In manchen Berufsgruppen gehört, so Bartsch, der Alkohol einfach zum Arbeitsalltag. Dazu zählen, wieder einmal, die Journalisten. Aber auch in der Werbebranche wird viel getrunken. „Der Alkohol ist in den sogenannten Kreativberufen leider sehr verbreitet“, weiß Gabriele Bartsch. „Da ist es normal, dass man nicht nur nach Feierabend, sondern auch während der Arbeitszeit Alkohol trinkt. Wer dazugehören will traut sich oft nicht, hier ,Nein' zu sagen.“ Ein weiterer Grund, warum gerade in diesen Berufen der Alkohol so verbreitet ist, ist der große Druck, den Journalisten oder Werbetexter ausgesetzt sind: „Sie müssen immer kreativ sein, ihnen muss immer etwas tolles einfallen, auch wenn sie mal nicht so gut drauf sind.“

* Alkohol als Belohnung als sechster Risikofaktor. „Das ist gefährlich für all diejenigen, die sonst schwer eine Belohnung, eine Anerkennung finden“, sagt Gabriele Bartsch über all jene, die sich selbst mit Alkohol belohnen wollen. „Das gönne ich mir jetzt“ oder „Das habe ich mir verdient“ - das sind oft Sätze, die man in Verbindung mit dem Alkohol hört. Bartsch: „Wird Alkohol allerdings mit dem Belohnungszentrum im Gehirn verknüpft, ist das eine riskante Kombination und kann gefährlich werden. Wer als Kind immer runter gemacht wurde ist später sehr gefährdet, sich die Belohnung, die er für sein Selbstbewusstsein ja braucht, mittels Alkohol zu verschaffen.“

* Risikofaktor Nummer sieben ist die Einsamkeit. Gerade Singles und ältere Menschen trinken sehr viel, um ihrer Einsamkeit zu entkommen. Singles trinken oft auch deshalb, um Hemmungen abzubauen und kontaktfreudiger zu werden, für ältere Menschen, die niemanden mehr haben, dient der Alkohol oft als eine Fluchtmöglichkeit aus ihrer Einsamkeit. „Die Einsamkeit“, so die Expertin, „ist ein nicht zu unterschätzender Faktor.“

Gabriele Bartsch betont im „Alk-Info“-Gespräch jedoch, dass diese sieben Faktoren nicht vollständig sind. „Das ist ein sehr weites Feld, die Liste ist daher nicht vollständig. So sind zum Beispiel Kinder, die in suchtbelastenden Familien aufwachsen, ebenfalls stark gefährdet, später einmal zu Alkoholikern zu werden. Aber eines ist für die Suchtexpertin klar: „Je früher jemand mit dem regelmäßigen Konsum anfängt, desto stärker ist die Gefahr gegeben, schnell süchtig zu werden.“