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Alkoholmissbrauch mit der Clique
Saufen als Gruppenzwang

von Dr. Martha Flaschka

Sie sind jung, sie wollen anerkannt und von ihren Freunden akzeptiert werden. Lukas ist einer von jenen Teenagern, der vor seiner neuen Clique, die er sehr bewundert, nicht als Außenseiter dastehen möchte. Doch innerhalb dieser Gruppe spielt Alkohol leider eine sehr große Rolle. Lukas möchte unbedingt mithalten und merkt nicht, wie tief er plötzlich in diesem Sumpf hinein gesunken ist.

Alkoholmissbrauch im FreundeskreisCool waren sie, wie sie da stehen. Lenny und sein Freund Matthias, Nele und Claudia. Lukas war neidisch. Claudia gefiel ihm, aber sie sah ihn kaum an.
Nach der 10 Uhr-Pause mussten sie in der Bibliothek die zurückgebrachten Bücher rücksortieren. Eine fade Sache. Lenny schaute überhaupt sehr träge aus, wie wenn er nicht ausgeschlafen wäre. Langsam schlenderte er über den Gang. Er redete auch so komisch langsam, irgendwie schleppend. In der Hand hielt er einen Kühlbeutel mit Glasflasche. Wegen der Hitze war Trinken wichtig. Als die erste Runde Bücher einsortiert waren, gönnten sie sich eine kurze Pause. Das Vierer-Team stand dicht nebeneinander, Lenny gab freundschaftlich die Flasche reihum. Lukas hatte sein eigenes Mineralwasser mit. Zur Halbzeit reichten sie sich wieder schnell und unauffällig die Flasche. Plötzlich ein lautes Poltern. Matthias hatte das Gleichgewicht verloren, hielt sich am Tisch fest und versuchte krampfhaft wieder auf die Beine zu kommen. Es gelang ihm kaum sich aufzurichten. Ein Lehrer schaute herein: „Was ist denn passiert?“ Lenny und Nele schnappten Matthias links und rechts, stellten ihn auf die Beine und gingen mit ihm an die frische Luft. Claudia wollte die Flasche mitnehmen. Aber Lukas war schneller, er machte einen Schluck und sofort blieb ihm die Luft weg. Das war also ihr Geheimnis. Diese Gruppe war irgendwie anders. Erwachsener, mutiger. Sie gingen ein hohes Risiko ein, aber es war echt spannend.
Am nächsten Tag trafen sich Lukas und Lenny nach der Schule im Pausenhof. Lenny öffnete kurz seinen Anorak und zeigte verstohlen auf die kleine Flasche in der Innentasche. Lukas nahm entschlossen einen vorsichtigen Schluck. Diesmal schmeckte das Zeug anders, nicht so brennend wie gestern, richtig süß und aromatisch. „Willst Du einen Kaugummi?“ Claudia strahlte ihn an: „Sonst riecht Deine Mutter was.“
Besäufnis bei der Probe
Freitag war Bandprobe. Die Bandmitglieder trafen sich bei Lenny, alle waren da. Claudia hat Lukas mitgebracht, den sie unterwegs getroffen hat. „Willst Du einen Drink?“ Matthias goss ohne auf die Antwort zu warten ein großes Glas mit einer Flüssigkeit voll, dann etwas Cola dazu. Lukas wollte nicht kindlich erscheinen und freute sich, dass ihn die Gruppe miteinbezog. Als er sich umsah, bemerkte er noch fünf andere Mitschüler, allerdings waren die älter. Matthias erzählte die Geschichte mit dem Birnenschnaps und als er umkippte. Seine Freunde applaudierten und lachten über seine Heldentat.
Um die Stimme zu ölen, denn zur Musik wurde mitgesungen, tranken alle noch ein großes Glas Wodka. Es war ein lustiger Abend. Keiner merkte wie die Zeit verging. Jetzt musste Lukas aber schnell nach Hause. Seine Eltern hatten schon zweimal angerufen. Den anderen war das egal. Auf dem Weg zur Bushaltestelle stellte er fest, dass er nicht so schnell vorwärtskam. War er betrunkener als er gedacht hatte? Hoffentlich merken die zu Hause nichts. Der Bus kam schnell, seine Eltern lagen schon im Bett. Leise schlich er in sein Zimmer und legte sich nieder. Alles drehte sich ein bisschen, lustig! Am Morgen ging es ihm nicht so gut. Er war unausgeschlafen und der Magen wollte auch nicht so recht. Seine Mutter musterte ihn misstrauisch: „Wenn Du das nächste Mal so spät kommst, dann ruf bitte an.“
Verlierer müssen Likör trinken
Die kommenden Wochenenden verbrachte er bei seinen neuen Freunden. Aus der Hausbar der Eltern haben sie jeder eine Flasche mitgebracht. Sie haben ein gemeinsames Geheimnis und lachen viel. Bei einem Pfandspiel musste jeder der verliert ein Glas Nusslikör trinken. Bald waren die Vorräte aufgebraucht. „Wir müssen Nachschub besorgen, aber im Supermarkt fragen sie nach dem Ausweis.“
„Wenn Du eine gute Ausrede hast, kriegst Du die Kassiererin herum.“ Es gelang Lenny, der Erfahrung hat - und eine neue Runde wurde ausgegeben. Plötzlich merkte Lukas, dass Claudia eingeschlafen war. Er rüttelte sie: „Schläfst du?“ Sie öffnete kurz die Augen und sank wieder auf den Diwan. Komisch, hat die soviel getrunken, die ist ja total weg? Sie liegt da, wie tot, ganz bleich. Matthias ging zu ihr und hob ihre Arme hoch, doch die fielen gleich wieder runter. Das fanden alle - bis auf Lukas – zum Brüllen. Lenny ging hin und öffnete ihr die Bluse ein wenig. Lukas war auch das unangenehm. Die haben ja kein bisschen Schamgefühl, dachte er. Unerwartet schlug Claudia die Augen auf und wunderte sich kurz, wieso sie da so liegt. Dann wankte sie auf die Toilette und die anderen hörten, wie sie sich übergibt. „Ich will nach Hause“ meinte sie weinerlich. Lenny fragte Lukas ob er sie begleiten kann. Er war zwar selber wacklig auf den Beinen, aber hilfsbereit stützte er Claudia. Die anderen hatten es schon wieder lustig.
„Was müsst ihr euch immer so besaufen?“
In Schlangenlinie gingen sie zum Bus. Der Fahrer starrte auf die betrunkenen Fahrgäste, er befürchtete Scherereien, die anderen Fahrgäste sahen verächtlich weg. Kaum saß Claudia, schlief sie wieder ein. Wo wohnt sie eigentlich? Lukas versuchte sie wachzurütteln. Aussichtslos, hat sie sich ins Koma gesoffen?, fragte er sich. Aus der Handtasche nahm er ihr Handy, fand die Nummer der Mutter, rief an: „Ich kriege Claudia nicht auf die Beine, sie ist betrunken. Wir warten an der Haltestelle.“ Ein älterer Passagier war bereit zu helfen und gemeinsam zogen sie sie aus dem Bus: „Was müsst ihr euch immer so besaufen? Hast du sie betrunken gemacht, damit du sie ins Bett bekommst?“
Entsetzte Eltern
Die nächste Herausforderung wartete schon auf Lukas. Wie kommt er an seinen Eltern vorbei, die sicher schon warten? Er versuchte eine „normale Stimme“ und es klappte. Doch – ehe er kapierte was geschieht, rutschte er aus und stürzte mit Krach zu Boden. Seine Eltern waren entsetzt. „Wir reden morgen drüber“. Doch in der Früh, eher Mittag, konnte er das Essen nicht einmal ansehen, sein Kopf schien zu platzen. Sein Vater hatte mehr Verständnis als die Mutter: „Wir waren ja auch einmal jung und haben einiges probiert… aber halte die Sauferei in Grenzen.“
Claudia fehlte in der Schule. Am Wochenende war Party im Jugendzentrum. „Ein bisschen vorglühen sollten wir schon.“ meinte Lenny. Im Jugendzentrum war Alkoholverbot. Aber eine kleine Flasche Rum war schnell eingesteckt und ein Cola mit Rum machte Laune. Daraus wurde nichts. Der Leiter entdeckte die Flasche, sie mussten gehen. Die anderen sahen verstohlen zu ihnen hinüber. Da schämte sich Lukas etwas. Tags darauf sah er Claudia mit Matthias eng umschlungen vorbeigehen. Sie würdigten ihn keines Blickes. Jetzt hat er wirklich einen Grund zum trinken.
Beim Kirtag am Wochenende war wieder alles easy. Da wurde Bier auch ohne Ausweis ausgeschenkt. In der Nacht wankte Lukas nach Hause. War aber halb so schlimm, weil auch seine Eltern über den Durst getrunken hatten.
Wetttrinken mit fatalen Folgen
Claudia ging jetzt mit Matthias, Lukas war fassungslos. Er wollte ihn im Partykeller zur Rede stellen. Lenny sagte, „Der Bessere gewinnt die Braut. Ihr könnt Wetttrinken.“ Claudia wollte das nicht, dann wäre ja der ganze Alkohol weg. Nach 10 Runden stand es 5:5. „Ihr hab beide gewonnen, hört auf.“ „Das fängt doch erst an,“ johlten die anderen. Doch seltsamerweise knickte Matthias ein. Mit dem Kopf schlug er hart auf. Weiß im Gesicht, mit einer Platzwunde am Kopf lag er da. Jemand rief den Krankenwagen. Sicherlich kommt auch noch die Polizei. Lukas schlich davon: „Mir ist so schlecht.“
Doch die Sanitäter hielten ihn auf.: „Dann solltest Du besser nicht saufen.“ Lenny: „Von einem bisschen Alkohol stirbt man ja wohl nicht gleich.“ „Entweder langsam und qualvoll über Jahre oder auch plötzlich an einem Krampf oder Kreislaufversagen“, meinte der Rotkreuzhelfer „und wenn man erst im Koma liegt, kann das auch noch kommen.“
Von jetzt an wurde Lukas von seinen Eltern kontrolliert. Jede Fete war verboten. Hoffentlich starb Matthias nicht und er wäre schuld daran.
Wie geht die Geschichte weiter? Haben sich Lukas und Claudia wieder getroffen, sind sie aus der Clique ausgestiegen und haben eine bessere Freizeitgestaltung gefunden? Wurde Matthias wieder gesund? Konnten die Eltern von der Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen abstinent zu sein, überzeugt werden? Das sind Fragen, die freilich erst in der Zukunft beantwortet werden können…

Für Jugendliche und junge Erwachsene ist es meist sehr wichtig, was der Freundeskreis, die Clique, die Mitschüler oder die Kollegen von ihnen halten. Um Unsicherheiten auszugleichen greifen viele zu Alkohol, um cooler vor den Anderen dazustehen. Doch das gelingt meist nur für einen kurzen Zeitraum, da der regelmäßige Konsum von Alkohol sehr bald das Gegenteil von dem bewirkt, was man sich erhofft hat. Hier einige Beispiele:

Alkohol macht dick: Und das möchten nicht nur Frauen nicht werden. 1 Gramm Alkohol enthält 7 Kilokalorien, fast doppelt so viel wie 1 Gramm Zucker. 110 kcal für ein Glas Bier, das sind leere Kalorien, sind schnell getrunken und die enthaltenen Vitamine sind vergärt. Was der Körper nicht verbraucht, wird eingelagert, auf Bauch, Bein, Po. Die Fettverbrennung wird durch Alkohol verzögert und Alkohol macht hungrig - meist auf ungesundes Essen.

Alkohol macht dumm und gewalttätig: 4 bis 5 Jahre ständiger Alkoholkonsum – auch nur an den Wochenenden können zum Schrumpfen der Hirnmasse führen. Gewalt und Alkohol sind ein Paar. Jedes 3. Gewaltdelikt wird unter Alkoholeinfluss begangen. Autofahren unter Alkohol ist ein Kavaliersdelikt geworden. 10 % der Todesfälle von jungen Frauen in Europa und 25 % unter jungen Männer stehen in Zusammenhang mit Alkohol, davon gehen in Deutschland 12 % der Todesfälle und 11 % der Schwerverletzten auf das Konto von Alkohol.

Alkohol macht krank: Es ist viel Arbeit für den Organismus die Giftstoffe zu eliminieren, besonders die Leber ist betroffen. In absehbarer Zeit wird sie alle Stadien der Lebererkrankung durchmachen – bis sie sich verhärtet. Nicht zuletzt sind auch das Herz, die Blutgefäße, die Knochen betroffen und Krebserkrankungen sind auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen. Eine verkürzte Lebenserwartungen von etlichen Jahren sind die Folge.

Alkohol macht leider nicht fit: Die Kondition lässt nach, weil die Muskeln – besonders bei körperlicher Anstrengung nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden können. Denn alle Arbeit liegt beim Herz, nachdem sich die Blutgefäße erweitern und der Puls sich erhöht, steigt der Blutdruck. Jeder kennt die Unfällen nach dem Apres-Ski. Koordination und Konzentration sind geschwächt, die Risikobereitschaft aber erhöht.

Alkohol verringert Libido: Die Risikobereitschaft zum ungeschützten Sex mit einem Zufallspartner ist hoch. Langandauernder Alkoholmissbrauch verringert die Fähigkeit zu Errektion und Orgasmus. Bei Frauen kommt dazu, dass Alkohol das Ungeborene schädigt.

Alkohol verstärkt Probleme: Angst, ADHS, Schüchternheit, Depressionen, Schlafstörungen,Traumata, Bulimie, Selbstmordgedanken … Diese Selbstbehandlungsversuche enden mit gegenteiliger Wirkung.

Dr. Martha Flaschka ist Psychotherapeutin und Psychologin

Foto: Michael Discenza