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Schicksal der Alkoholiker im Dritten Reich
Sterilisieren, ermorden, krepieren lassen

von Werner Schneider

Früher, als die Ewiggestrigen – also jene, die den Naziterror selbst erlebt, aber nichts daraus gelernt hatten – noch in großer Zahl am Leben waren, hörte man oft den Spruch: „Unterm Hitler hätt’s das nicht gegeben.“ An Stammtischen, wenn genug Alkohol geflossen war, dann meinte man, dass alles, was nicht gefiel, unter Adolf Hitler nicht möglich gewesen wäre. Jene trankesfreudigen Nazi-Epigonen vergaßen nur: Alkoholiker sollte es in der nationalsozialistischen Zeit auch nicht geben, nach dem Begriff der Rassenhygiene waren sie vogelfrei. Sie landeten in den Euthanasiezentren oder in den Konzentrationslagern. Beides kam Todesurteilen gleich. Ihre Kinder wurden oft sterilisiert.

Reichsgesetzblatt Teil 1 vom 25. Juli 1933Er (der völkische Staat, Anm.) muss dafür Sorge tragen, dass nur wer gesund ist, Kinder zeugt, dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen…“, war bereits 1923 (!) in „Mein Kampf“ zu lesen. Alkoholismus galt als solcher „Mangel“. Das wurde zwar im „Reichsgesetzblatt Teil 1“ vom 25. Juli 1933 noch nicht so veröffentlicht . „1. Angeborener Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. Zirkulares (manisch-depressives) Irrsein, 4. Erbliche Fallsucht, 5. Erblicher Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. Erbliche Blindheit, 7. Erbliche Taubheit, 8. Schwere erbliche körperliche Missbildung“ wurden im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ festgeschrieben. Aber schon in den Ausführungen zu diesem Gesetz findet sich angehängt der „Alkoholismus“. Und dass dieser so unprominent platziert ist, stößt der damaligen rassisch auf Reinheit fixierten Wissenschaft sauer auf.
Der Psychiater und Neurologe der Universität Bonn, Prof. Kurt Pohlisch, lässt sich 1934 in dem Buch „Die psychiatrischen Aufgaben bei der Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit einem Anhang: Die Techniken der Unfruchtbarmachung“ lang und breit darüber aus, dass da anscheinend der Alkohol nicht genügend gewürdigt wird: „Es fällt auf, dass der Alkoholismus im Gesetz keine bedeutende Rolle spielt … Dies steht scheinbar im Gegensatz zu der Bedeutung, die seit Jahrzehnten der Alkoholismus in der Erblichkeit spielt.“ Und Pohlisch bleibt Erkenntnisse nicht schuldig: „Es ist früher nicht berücksichtigt worden, dass die Mehrzahl der Gewohnheitstrinker ihrer Anlage nach abnorme Menschen sind, und zwar meist Psychopathen. … Von solchen Individuen kann man, auch ohne Hinzutreten des Alkoholmissbrauchs nicht ohne weiteres gesunde Nachkommen erwarten.“
Auslöschen „unwerten“ Lebens
Es kam in der Folge zur sogenannten Euthanasie – mit Betonung auf sogenannte, denn im Dritten Reich war damit nicht Sterbebegleitung sondern Mord gemeint. Von 1939 bis 1945 wurde in rund 25 Anstalten systematisch „lebensunwertes Leben“ vernichtet bzw. wurden Massensterilisationen durchgeführt. Traurige Berühmtheit in Österreich erlangten Hartheim in Oberösterreich und der „Spiegelgrund“(Steinhof) in Wien.
Die Arten des „Auslöschen unwerten Lebens“ waren verschieden: Ermordung durch tödliche Spritzen, Vergasung oder der Hungertod. Die Angehörigen erhielten Urnen und ein nichtssagendes Schreiben mit einer „natürlichen“ Todesursache. Wie groß die Zahl de Alkoholiker war, kann heute nicht mehr genau festgestellt werden, da oft nur „Irresein“ oder „Schwachsinn“ als Diagnosen festgehalten wurden.
Wer nicht in diese Todesmaschinerie kam, den erwartete bereits ab 1934 eine andere, wesentlich bekanntere: Das Konzentrationslager, kurz KZ. In diesen landeten – erstmals in Dachau auf Anordnung Heinrich Himmlers, damals noch SS-Chef und frisch ernannter Polizeipräsident von München – sogenannte „Asoziale“.Haupttor des KZ Dachau in Deutschland Per Definitionem waren das „gemeinschaftsfremde“, also als minderwertig eingeschätzte Menschen. Aus „sozialhygienischen Gründen“ fielen darunter „Bettler, Prostituierte, Zuhälter, sexuell freizügige Frauen, Landstreicher, nach Zigeunerart herumziehende Landfahrer, Alkoholiker und Personen, die ihre Unterhaltspflicht vernachlässigen“. Alkoholiker wurden in „Trinkerlisten“ und „Sippenakten“ erfasst (wie etwa Homosexuelle in „rosa Listen).
Himmler hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass in den KZs Menschenleben nichts galten. Das scheute er sich auch nicht schon 1933 vor Auslandsjournalisten auszusprechen: „Im Interesse des Staates müssen wir diese Maßnahmen treffen ohne Rücksicht auf kleinliche Bedenken.“
„Alkoholiker waren die ärmsten Hunde“
Ob ein Alkoholiker im KZ landete oder in Gestapo- (Geheime Staatspolizei) Haft, war von der Art des Aufgreifens abhängig. Wer sich im Suff öffentlich über Führer, Partei, wirtschaftliche Zustände oder – später – über den Kriegsverlauf negativ äußerte (was in Gasthäusern schon vorkommen konnte) und angezeigt wurde, konnte wegen Defätismus oder gar Hochverrats etc. angeklagt werden. Darauf stand unter Umständen die Todesstrafe. Der Rauschzustand wurde in der Regel nicht als mildernd gewertet. Oder jemand fiel durch Alkoholismus bedingte Obdachlosigkeit, ständige Trunkenheit und Beschäftigungslosigkeit auf, der landete zuerst in Polizeigewahrsam – um dann den Weg ins Konzentrationslager anzutreten.
Ein politischer Häftling (Kommunist) schilderte dem Autor dieser Zeilen 1971 für eine Seminararbeit: „Unter den Asozialen waren die Alkoholiker die ärmsten Hunde. Die hatten von der Haft schon einen Entzug hinter sich und waren körperliche Wracks. Die Schinderei im Steinbruch (KZ Mauthausen, Anm.) hielten die nicht einmal ein paar Tage aus … viele waren zu blöd, um sich das Essen zu organisieren.“ Andere, so erinnerte er sich weiter, waren in besserer physischer Verfassung. Die „…haben sich den Kriminellen angeschlossen und waren bald an irgendwelchen Posten, wo sie sich‘s richten konnten…“. Denn in der KZ-Hierarchie standen Kriminelle und Alkoholiker in den Augen der SS weit über den Politischen und rassisch verfolgten wie Juden, Sinti und Roma. Diese Sonderstellung führte dazu, dass sogar Alkohol gegen gewisse Dienstleistungen (wie z.B. Spitzeldienste oder brutales Vorgehen gegenüber anderen Mithäftlingen) „organisiert“ werden konnte. Auch Zigaretten gab es als Belohnung. An einem Ort, an dem der Hunger- und Entkräftungstod die Regel waren…
Alkohol gegen schlechtes Gewissen
Einen ganz anderen Stellenwert hatte der Alkohol in Heinrich Himmlers Augen, wenn es sich um Massentötungen an Juden handelte. Bereits ab 1941 waren sogenannte SS-Einsatzgruppen hinter der Ostfront mit Massenerschießungen an Juden beschäftigt. Man konnte den Exekutionskommandos anfangs noch einreden, dass es sich um Partisanen und „Volksschädlinge“ handle, um Kommunisten usw. Bald aber wurden immer mehr Frauen und Kinder getötet. „Um das grausame Geschehen ertragen zu können, tranken viele Mörder große Mengen Alkohol“, heißt es in einem Bericht aus dem Baltikum. Die an diesen Massenmorden beteiligten Polizisten, hielten dem Druck noch weniger Stand als die hart ausgebildete und zum Teil verrohte SS-Mannschaft, sie betranken sich nicht nur gelegentlich: „Nicht wenige Polizisten gerieten in Gewissensnöte,alkoholismus im dritten reich nazis asoziale erblichkeit rassenhygiene sterilisation konzentrationslager kzs unwertes leben euthanasie ermordung heinrich himmler 1 erlitten nach der Erschießung von Juden Nervenzusammenbrüche und flüchteten sich in den Alkoholismus.“ Die „harten Sachen“ mussten sich die Mörder nicht selbst beschaffen: „Zur Betäubung wurde viel Alkohol ausgeschenkt.“
Für an der Front stehende Soldaten galt hingegen das Kriegsrecht, wer sich hier in alkoholisiertem Zustand etwas zuschulden kommen hatte lassen musste – je nach Schwere des Delikts und dessen Folgen – auch mit der sofortigen Exekution rechnen.
In den KZ – speziell in den Vernichtungslagern – wurde Alkoholmissbrauch unter der Wachmannschaft hingegen nicht so eng gesehen. Der bereits zitierte Häftling wusste zu berichten: „…wenn sie besoffen waren, dann wurden wir alle aus der Baracke ins Freie gehetzt, bei Minusgraden und Sturm und Schnee, so schnell, dass manche nicht einmal in ihre Pantoffeln kamen und dann standen wir stundenlang und mussten singen“. Wer bei so einem Suff-„Spaß“ umfiel, blieb liegen und erfror, wer sich bewegte, wurde verprügelt. „Ein Genosse hat Durchfall gehabt und sich angemacht, das wurde beim Durchgang von einem stockbesoffenen Unterscharführer (Unteroffizier, Anm.) bemerkt … und hat ihn danach sofort erschossen.“
„Unterm Hitler hätt’s das nicht gegeben…“, wenn heute ein (meist besoffener) junger Mensch mit Glatze und Springerstiefel das grölt, dann muss man sagen: Zum Glück gehören diese Figuren zu einer verschwindenden Minderheit. Mancher von ihnen wäre damals vielleicht als „asozial“ eingestuft worden (arbeitslos und Alkoholkonsum). Die Folgen – siehe oben.

Foto: DÖW-Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (1)