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Grundstein kann schon das Komasaufen sein
Mit dem Alkohol in die Armut

von Werner Schneider

Studien und Statistiken belegen, dass Alkoholismus einen Krankheit ist, die durch alle Gesellschaftsschichten zu finden ist. Studien belegen aber ebenso, dass Armut und Alkoholsucht in enger Verbindung stehen. Die Folgen für diese Randgruppe sind besonders tragisch: verlust (nahezu) jeder sozialen Bindung, völlige Perspektivlosigkeit und oft auch Obdachlosigkeit. Die bayerische Diakonie, aber auch österreichische Institutionen haben sich der Problematik angenommen.

Das Resümee, das in diesem Fall gleich am Anfang steht lautet: „Armut in Kombination mit Suchtphänomenen betrifft in der Hauptsache Arbeitslose, Rentner, Straffällige, Alleinerziehende, Migranten und kinderreiche Alkoholismus und Armut stehen im ZusammenhangFamilien, die dadurch, dass sie materiell benachteiligt sind, am öffentlichen Leben gehindert werden.“ Also sogenannte untere Einkommens- und bildungsfernere Schichten sind die Hauptbetroffenen. Aus einer etwas älteren Statistik geht hervor, dass bei den Arbeitslosen die Alkoholiker mit 15% (nach jüngeren Zahlen zeigt sich keine Veränderung) vertreten sind. Ein erschreckend hoher Prozentsatz.
Das Problem ist, dass diese Menschen kaum in den Arbeitsprozess reintegrierbar sind. Heutzutage werden in fast allen Berufen weiterbildende Kurse und Seminare angeboten, „…lebenslanges Lernen [ist] Voraussetzung für berufliches und soziales Weiterkommen…“. Von dem sind Alkoholkranke aber ausgeschlossen, da sie wegen ihrer Sucht zumeist schon über einen längeren Zeitraum ohne Arbeit sind. „Jugendliche, die sich am Wochenende ins ‚Koma saufen‘ können als besonders gefährdet bezeichnet werden, da der erhöhte Alkohol- und Drogengenuss Bildung verhindert.“ Eine Tragödie, die ihre Wurzeln schon in jungen Jahren hat.
Mangelnde Gesundheitsvorsorge
Hier setzt zuerst der gesundheitliche Faktor an. „Die Folgen der Suchterkrankung zeigen sich auch in der mangelnden Gesundheitsvorsorge.“ Viele AlkoholikerInnen wagen sich nicht zum Arzt/zur Ärztin, wenn sie Krankheitssymptome an sich feststellen – die Sucht soll verborgen bleiben. Die Folge sind Schwächezustände, die oft nicht mit dem Arbeitsprozess vereinbar sind.
In Österreich hat Sozialpädagoge Christian Wetschka festgestellt, es gäbe kaum Angebote für Therapien und relativ wenig medizinische Versorgung für jene Menschen, die schon ganz „unten“ angekommen sind. Er begleitete zwei Wohngemeinschaften für alkoholkranke, wohnungslose Menschen in Wien. Von dieser Gruppe würden nur ein bis zwei Prozent adäquat behandelt.
Doch zurück nach Bayern. „Der Mangel an sozialer Teilhabe ist das Ergebnis eines Prozesses, da [Alkohol]Abhängige physisch unter ihren ständigen Misserfolgen leiden. Sie erleben täglich, dass sie ihren Drogen- und Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren können und verheimlichen müssen. … Das Fehlen alternativer Verhaltensweisen führt zu einer ‚Zementierung‘ des unerwünschten Zustandes. Alle sozialen Kontakte werden eingeschränkt. Beziehungen – auch innerhalb der Familie – werden dünner, sind belastet und führen zur Verarmung sozialer Kompetenz.“ Das zieht eine körperliche und psychische Vernachlässigung nach sich. Die Wohnung kann oft nicht mehr bezahlt werden. Eine katastrophale Situation für kinderreiche Familien, in denen der Alkoholkranke zugleich der Alleinverdiener ist (war).
Schuld und Scham
An diesem Punkt decken sich deutsche und österreichische Erfahrungen nahezu komplett. „Der Abhängige erlebt subjektiv eine hohe Unzufriedenheit mit seiner Situation (Armut). Jedoch verhindern Schuld und Scham eine Veränderung. Das aktive Zugehen auf Personen, die helfen könnten oder das Suchtsystem sind dem Erkrankten kaum möglich.“
Ganz ähnlich wurde das in einer Ö1-Sendung zu dem Thema formuliert. Die Suchtbehandlung kommt nicht zu den Süchtigen, daraus folgt: „…dass Patientinnen und Patienten nicht eine Ambulanz aufsuchen…, einen Arzttermin vereinbaren oder eine Therapeutin konsultieren – das ist für viele eine Hürde…“.
Was wiederum ergibt: „Psychisch kranke Menschen würden letztlich im Obdachlosenheim landen, wo sie nicht hingehören.“
Die Diakonie Bayern zieht den wenig hoffnungsvollen Schluss: „Die Suchterkrankung birgt ein relativ hohes Risiko, arm zu werden, sucht ist ein Armutsrisiko. Der Alkohol (die Droge) und/oder bestimmte Verhaltensweisen (Internet, Glücksspiel) geben die Struktur für die Gestaltung des Lebens vor. Das Leben wird insgesamt ärmer, denn der gewünschte, erhoffte Lebenssinn wird unerreichbar.“ An diesem Punkt haben sich viele schon soweit aufgegeben, dass sie einen Tod durch übermäßigen Alkoholkonsum herbeiwünschen.

Kommentar:

Es klingt in der Studie der bayerischen Diakonie vieles so, als hätte man es schon Dutzende Male gehört – am Stammtisch, dort wo selbst manche alkoholische Erfrischung durch die Gurgel rinnt. „Besoffene, asoziale Elemente sollen was arbeiten, sollen einen Entzug machen.“
Was die Diakonie tatsächlich ausdrückt: Wenn der Weg über die Sucht in die Armut einmal gegangen wird, dann ist es wahnsinnig schwer, ihn wieder zu verlassen. Gehobenere Einkommens- und Bildungsschichten, die ebenso Alkoholiker sein können, haben meist soziale Auffangnetze, haben die nötigen finanziellen Mittel, um „dezent“ aus dem Suchtstrudel mit physischem Entzug und Gesprächstherapie wieder in ruhigeres Fahrwasser zu kommen.
Bei arm und süchtig sind, wie im Artikel erwähnt, die Hürden bereits zu hoch. Der Strudel zieht weiter nach unten.
Es müsste unserer Gesellschaft doch etwas wert sein, auch diese Menschen zu erfassen. Denn Alkoholismus ist, nicht zu vergessen, eine KRANKHEIT, eine behandelbare noch dazu. Um die mittellosen Patienten aber zu erfassen, muss man aber dorthin gehen, wo sie anzutreffen sind. Dass nur rund zwei Prozent adäquate medizinische Betreuung genießen, ist ein Armutszeugnis.
schnei

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)

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