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Besuch in einem klassischen Morgencafé
Wo in der Früh schon die alkoholischen Runden laufen

von Werner Schneider

Sie gehen früh am Morgen in Lokale, die schon so zeitig geöffnet haben. Sie trinken schon vor acht Uhr früh Alkohol. Alles unter dem Siegel der Geselligkeit. Es wird Karten gespielt, es werden Lokalrunden spendiert und es greift rasch die Trunkenheit um sich. Dabei geht es eine ganze Weile geradezu friedlich und gesellig zu – wenn auch ziemlich laut. „Alk-Info“ hat sich so ein „Frühcafé“ in einer Kleinstadt im Süden der Steiermark angesehen. Und der Autor hat mehr als zwei Stunden lang den Aufforderungen mitzutrinken widerstanden.

Es ist acht Uhr früh und das kleine Café mit der großen Theke und den wenigen Tischen ist wohl gefüllt. An einem Ende der Bar wird Schnapsen (66) gespielt. Die drei Herren geben den Lautstärkepegel vor. Neben demGasthaus Theke Autor sitzt ein Mann Anfang 40 und trinkt „Cola rot“ (mit Rotwein). Es befinden sich noch zwei tief gebräunte Damen dabei, die aus dem angrenzenden Solarium gekommen sind, wie sie später erzählen. Sie gehen schon um sieben Uhr ins Bräunungsinstitut und bestellen Aperol Spritz.
„Was schreiben sie da?“, will der Cola rot Trinker wissen. „Ich muss noch zur Pensionsversicherung, da mache ich mir ein paar Notizen“, entgegnet der Autor und kann ab da unbehelligt festhalten, was sich so abspielt. Der Wirt erzählt, dass ab sieben Uhr früh geöffnet ist: „Da kommen die Herrschaften von der Versicherung und von der Krankenkasse auf einen Kaffee.“ Der übrigens hervorragend ist. Ein Gast ordert einen Espresso und einen großen Grappa.
Der Verlierer zahlt eine Runde
Die Kartenspieler haben sich auf Bierrunden geeinigt. Pro Bummerl (gewonnenem Spiel) muss der Verlierer eine Runde bezahlen. Wer das Spiel kennt weiß, dass das mitunter sehr schnell geht. Wenn einer „As und Vierzig“ hat (Dame und König in der Trumpffarbe), dann sind 66 schnell erreicht und der Sieger schreibt drei von sieben möglichen Punkten. Einer hat bereits drei Biere vor sich stehen und bittet um fünf Minuten Auszeit: „Mich erschlägt heute das Glück, ich komm‘ mit dem Trinken nicht mehr nach.“ Die eine Dame lacht und meint: „Dann spendier halt eine Lokalrunde, sonst wirst noch Millionär!“ Dem Wunsch wird prompt nachgekommen. Es wandern Biergläser, Cola rot, Grappa und Aperol Spritz über die Theke. Der Autor will einen Espresso und wird gerügt: „Des geht net! Wenigstens an Spritzer (Weinschorle) trinken Sie mit!“ Wieder muss die Pensionsversicherung als Ausrede herhalten: „Ich kann dort nicht mit einer Fahne erscheinen.“ Das wird akzeptiert. Auch der Wirt hält sich heraus. „Es ist noch nicht neun.“
Der mit den drei Gläsern Bier, zu dem von der Lokalrunde ein viertes hinzugekommen ist, leert zwei auf einen Zug und prostet dann mit dem letzten Glas der Runde zu. „Den Rest heb‘ ich mir auf, wenn schlechte Zeiten kommen“, lacht er.
„Trink was gescheites…“
Der Sitznachbar mit dem Cola rot wird leutselig. „Was machen Sie denn bei der Pensionsversicherung? Sie schauen eh schon wie ein Pensionist aus.“ Das regt die Damen mit den Aperol Spritz zu einem Heiterkeitsausbruch an: „Sehr charmant ist er heute wieder, wennst das zu mir sagst, kriegst a Watschen (Ohrfeige).“ Ich erkläre, dass ich mir die Alterspension, die tatsächlich schon fällig ist, ausrechnen lasse. „Dann könntest mein Vater sein“, johlt der mit dem Cola rot und geht nahtlos zum Du über. Die Unterhaltung ist inzwischen so laut, dass jeder im Lokal versteht, was wo gesprochen wird. Ein Kartenspieler versucht es mit einem Trick: „He, Herr mit dem weißen Bart (er meint mich) trink‘ was Gescheites mit und iss‘ an Kaugummi.“
Wodka Orange macht keine Fahne
Die Schnapser haben inzwischen den Überblick über die konsumierten Biere verloren. Der Wirt klärt auf: „Zwei haben fünf und der Alte hat sieben, dazu kommt die Runde.“
Auch eine der Damen, sie wirkt sehr gepflegt und dürfte um die 50 Jahre alt sein, wird nun neugierig: „Sie waren noch nicht da?“ „Doch“, antworte ich, „Wenn ich bei meiner Versicherung zu tun hatte, aber ich saß meist an einem Tisch, nicht an der Bar.“ „In Gesellschaft ist es lustiger, stimmt’s? Ich bin die Elfi und das ist die Sonja“, stellt sie sich vor. Wir sind jetzt alle per Du. Mein Sitznachbar heißt Rudi und ich bin ab jetzt der Werner. Und wieder ein Versuch: „Wodka Orange macht keine Fahne, da könntest einen mittrinken“, mischt sich Sonja in die Unterhaltung ein.
Die Kartenspieler bringen eine neue Facette ein: Wer As und 40 hat, muss die Thekenrunde mittrinken lassen außerdem ist dann ein Klarer fällig. Ich wechsle zu Soda Zitrone, der Kaffee wird zu viel.
Man merkt die Wirkung des Alkohols
Inzwischen ist es neun Uhr und der Wirt steigt mit Mischungen (Wein mit Mineralwasser) ein. Zum Glück hagelt es keine Glückssträhnen und die „Dippler“ (so werden Kartenspieler in Österreich genannt) können ihre Brieftaschen schonen.
Man merkt die Wirkung des Alkohols, denn das Spiel verläuft nicht mehr ganz so harmonisch. Es fallen die ersten Schimpfworte und der Lärmpegel steigt noch ein bisschen an. „Spielst du auch?“, will mein Sitznachbar wissen. „Schon, aber ich bin nicht in Form.“ „Sei nicht fad, ein Bummerl geht sich aus.“ Wir bekommen die Karten und der Wirt wechselt zu uns. Mein Gegner hat entweder schlechte Karten oder er ist von den vielen Cola rot schon so unkonzentriert, dass es leicht ist, zu gewinnen. Es kommt, was kommen muss, er zahlt unsere Getränke und verlangt sofort Revanche. Das Ergebnis ist nicht besser. Der Wirt kommentiert trocken: „Wer so schleißig spielt, zahlt a Runde.“ Der Cola rot Mann gibt sich geschlagen, besteht aber darauf, dass ich mittrinke, egal was, es müsse Alkohol sein. Ich erkläre nun, dass ich überhaupt keinen trinke. „Und da gehst ins Wirtshaus, wozu eigentlich?“ mischt sich der Mann mit den doppelten Grappa zum Espresso ein. Er dürfte an die vier oder fünf intus haben – man kennt ihm aber nichts an. Elfi ergreift Partei für mich: „Er kommt wegen der Gesellschaft her!“ Und sie wiederholt: „Da ist es lustiger.“ Den beiden Damen kennt man den Alkoholgenuss jedenfalls bereits an. Inzwischen sind nämlich nochmals Thekenrunden gelaufen.
Ein Laden voller Alkoholiker?
Der Kartenspieler, den man den „Alten“ genannt hat, will zahlen und gehen. Er widersteht allen Überredungskünsten. Er muss fast 60 Euro blechen. Er zahlt anstandslos mit den Worten: „Kannst nix machen, wennst a Pech hast.“ Der „Alte“ wirkt gepflegt, aber nicht wohlhabend. Ich frage Sonja: „Kommt er oft her?“ „Der ist jeden Tag da.“
Der Mann dürfte in Pension sein, er muss entweder oft gewinnen oder monatlich viel Geld bekommen. Ich zahle auch eine Runde, weil ich bisher nur Nutznießer war. Dafür bekomme ich von der benachbarten Elfi einen Kuss auf die Wange.
Es ist fast zehn Uhr Vormittag. Niemand sonst macht Anstalten zu gehen. Die Damen dürften an die fünf bis sechs Aperol Spritz konsumiert haben. Bei meinem Sitznachbarn habe ich den Überblick verloren, weil ihm der Wirt automatisch Cola rot hingestellt hat, wenn das Glas leer war. Die Kartenspieler dürften an die zehn kleine Bier und ein paar Klare genossen haben. Der Wirt hat sein Glas mit der Mischung nicht angerührt, aber bei jeder Runde zum Zuprosten gehoben. Er dürfte bemerkt haben, dass mir das aufgefallen ist, denn als ich meine Runde bezahlt habe, schenkte er sich rasch ein zweites Glas ein.
Ein Lokal voll mit Alkoholiker? Man könnte es fast annehmen.

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)