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Tiefe Hirnstimulation soll helfen
Mit Elektroden gegen die Sucht

von Harald Frohnwieser

Forscher in Kanada testen derzeit ein medizinisches Verfahren, das gegen Alkoholismus helfen könnte. Bei der sogenannten tiefen Hirnstimulation, englisch Deep Brain Stimulation (DBS), wird ein Neurostimulator direkt in das Gehirn des Probanden implantiert, das diverse Schaltkreise stimuliert, bei denen abnormale Aktivitäten bestehen. Diese Schaltkreise sollen mit Hilfe von Elektroden, die in die Zielregion des Gehirns eingeführt werden, neu gesteuert werden. Damit soll für Alkoholiker der Zwang, ständig Alkohol trinken zu müssen, zurückgesetzt werden. Die erste Testperson von fünf weiteren, die sich diesem Experiment als Versuchsobjekt zur Verfügung stellte, war ein in Fachkreisen sehr bekannter Mikrobiologe, der selbst stark abhängig vom Alkohol war…

Dr. Frank Plummer kämpfte als Wissenschaftler und Mediziner gegen Aids und Ebola, aber auch gegen andere Epidemien. Als der 1952 geborene Kanadier Anfang der 1980er Jahre in Kenia in Afrika tätig war, Dr. Frank Plummernahm er gemeinsam mit einigen Kollegen den Kampf gegen das HIV-Virus auf. Eine Arbeit, die ihn viele Stunden am Tag forderte, ging die Aids-Krankheit doch von Afrika aus. Plummer forschte unentwegt, gönnte sich kaum eine Freizeit. „Ich fühlte mich damals wie ein Feuerwehrmann, aber das Feuer ging nie aus“, schilderte der Mediziner bei einem TV-Interview mit der BBC seine damalige Situation. „Es ging einfach weiter und weiter. Es gab das Gefühl, dass du etwas tun musstest und dass die Welt etwas tun muss. Und ich habe versucht, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken und Geld aufzutreiben, damit wir unsere Arbeit fortsetzen konnten“, blickte Plummer bei dem Interview zurück.
Mit Scotch gegen den Stress
Die Arbeit wurde immer größer und der Druck, der auf den Mikrobiologen lastete, wuchs. Um damit irgendwie klar zu kommen, begann der Forscher irgendwann, abends ein paar Gläser Scotch zu trinken, um abzuschalten und um zu schlafen. Seine harte Arbeit trug Früchte: Dr. Plummer und seine Kollgen konnten erforschen, wie sich das HIV-Virus ausbreitete, was zur Bekämpfung von Aids viel beitrug.
Druck und Alkoholkonsum wurden immer größer
Nach 17 Jahren kehrte Plummer nach Kanada zurück, wo er eine leitende Position im National Microbiology Laboratory in Winnipeg bekleidete und stark zur Entwicklung des kanadischen Ebola-Impfstoffs beitrug. Nebenbei befasste sich Plummer auch mit dem Sars-Virus und der Influenza H1N1. Seine Arbeit war für ihn lebenswichtig. Und der Stress war zum Teil noch größer als er in Kenia war. Wieder griff er zu seinem altbewährtem Mittel, um abzuschalten und zu schlafen: zum Scotch. Und die tägliche Dosis steigerte sich im Laufe der Zeit immer mehr.
Seine Arbeit wurde dadurch nicht beeinträchtigt, und so merkte Frank Plummer lange Zeit gar nicht, dass er längst vom Alkohol abhängig war. Doch im Jahr 2012 holte ihn die Auswirkung seiner Sucht ein. „Meine Leber hat es nicht mehr gepackt“, erzählte er. Und weiter: „Vorher wusste ich zwar, dass ich viel getrunken habe, aber ich dachte nicht, dass ich ein Problem damit hätte.“ Doch jetzt wusste er es nur zu genau, denn nur eine Lebertransplantation rette ihm das Leben.
Behandlungen führten nicht zum Erfolg
Um mit dem Trinken aufzuhören, begab er sich in die Behandlung von Reha-Programme und ging zu Selbsthilfegruppen. Er suchte Suchtberatungsstellen auf, nahm Medikamente – doch die Erfolge waren jeweils nur von kurzer Dauer. „Es war ein ziemlich hoffnungsloser Zyklus und es war sehr hart für mich und meine Familie. Ich war ziemlich oft im Krankenhaus, ich bin fast mehrmals gestorben“, blickte der Mediziner zurück. Die Rettung seines Zustands kam, als er an zwei Neurochirurgen des Sunnybrook Hospitals in Toronto überwiesen wurde. Die beiden Ärzte forschten schon seit einem längeren Zeitpunkt daran, wie man die bereits bewährte Deep Brain Stimulation (DBS), die schon bei Essstörungen und Parkinson erfolgreich eingesetzt wurde, auch bei Alkoholismus einsetzen konnte. Dazu Dr. Nir Lipsman, einer der leitenden Forscher: „Bei Parkinson zielen wir auf motorische Schaltkreise im Gehirn ab, bei Sucht und Alkoholkonsum auf Belohnungen und Lustschaltkreise im Gehirn.“
Schrittmacher fürs Gehirn
Bei der DBS-Behandlung wird ein elektrisches Gerät im Gehirn implantiert, um jene Schaltkreise zu stimulieren, bei denen eine gestörte Aktivität vorhanden ist, eine Art Schrittmacher fürs Gehirn. Dabei werden Elektroden in eine Zielregion des Gehirns eingeführt, die Impulse abgeben und so das bisherige Verhalten oder Verlangen neu zu steuern. Als die beiden Neurochirurgen Frank Plummer von dieser Methode erzählten und dass sie diesbezüglich eine neue Studie starten wollen, stellte er sich sofort als eine von sechs Testpersonen zur Verfügung. „Mit einem großen Bohrer bohrten sie auf beiden Seiten meines Schädels ein Loch, das ungefähr so groß wie eine 25 Cent Münze war. Es war nicht schmerzhaft, aber trotzdem sehr belastend“, erzählte Plummer später der BBC.
Keine Wunderwaffe
Die Operation verlief erfolgreich, bei Plummer und den fünf anderen Alkoholikern, die sich zur Verfügung stellten, sah Nir Lipsman „einige Anzeichen dafür, dass sie ihr Verhalten rasch änderten. Der Chriurg hofft, dass die Studie einen Teil zum Abbau des Stigmas, das alkoholkranke Menschen umgibt, beitragen wird. „Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir eine Sucht betrachten und die Art und Weise, wie wir Alkoholkonsumstörungen als eine Krankheit im fortgeschrittenen Stadium betrachten“, so Lipsman. Doch er warnt auch vor einer allzu großer Euphorie: „DBS ist keine Wunderwaffe. Es wird nicht nur das Implantat eingesetzt und fertig. Die Patienten sollen auf alle Fälle ihre konventionelle Behandlung wie Therapie oder den Besuch von Selbsthilfegruppen fortsetzen.“ Die Ergebnisse von DBS sind auch nicht sofort sichtbar – es kann Wochen dauern, bis sich ein Erfolg zeigt. Frank Plummer jedenfalls fühlte sich nach der Operation rasch besser: Ich trinke gelegentlich noch, habe aber nicht mehr diesen Zwang weiter zu trinken. Ich spüre diese körperliche Abhängigkeit einfach nicht mehr.“ Ob der Behandlungserfolg von Dauer ist, kann der Arzt und Wissenschaftler leider nicht mehr erleben: Frank Plummer starb im Februar 2020 an einem Herzinfarkt. Die Studie freilich lebt weiter.

Foto: University of Manitoba (1)