Alkoholismus und Sexualität
Mit jedem Glas kommt das Versagen

von Werner Schneider

Alkohol und Sexualität sind eng verbunden. Anfangs will man ein, zwei Gläser nur zur Stimulans, vulgär ausgedrückt: Der jeweiligen Sexualpartner wird „schöngesoffen“. Außerdem erwartet man eine gewisse Willfährigkeit mit der Steigerung der Promille. In weiterer Folge kommt es zu aggressivem Sex oder sogar zu Misshandlungen, wenn es nicht mehr klappt – Männer rasten dann bisweilen aus. Zuletzt warten Erektions- und Orgasmusunfähigkeit und im Endstadium das totale Desinteresse an Sex.

Es fängt fast immer damit an, dass man sich für eine schöne Liebesnacht auch ein paar alkoholische Getränke bereitstellt. Es tritt tatsächlich eine gewisse Enthemmung ein. Bei einer harmonischen Partnerschaft und keinerLustlos durch Alkohol Alkoholabhängigkeit auch kein Problem. Wesentlich komplizierter wird die Angelegenheit, wenn Alkohol gezielt eingesetzt wird, um den jeweiligen Sexualpartner gefügig zu machen. Hier werden bereits deutlich Grenzen überschritten. Wird die Partnerin bewusst „abgefüllt“ wird der Sex aggressiv.
Untersuchungen der deutschen Polizei zeigen, dass es in diesem Stadium immer wieder zu körperlichen Übergriffen kommt. Entweder ist das Opfer noch nicht willig oder schon zu betrunken für einen Geschlechtsverkehr, dann neigen Männer zum Zuschlagen. Das passiert auch, wenn durch die zu große Alkoholmenge bereits Erektionsstörungen eintreten. Hier kommt es auch in Ehen oder langjährigen Partnerschaften dazu, dass der versagende Mann die Frau für seine Unfähigkeit verantwortlich macht und gewalttätig wird. Die Dunkelziffer solcher Delikte ist besonders groß, weil aus Scham oft keine Anzeige erstattet wird. Die Behörden werden meist dann eingeschaltet, wenn sich alkoholisierte Männer handgreiflich an Prostituierten austoben.
Die physischen Abläufe werden im Internet-Gesundheitsportal „netdoktor“ einfach beschrieben: „Alkohol wirkt als Nervengift und greift das Gehirn an. Der körperliche Stoffwechsel verändert sich durch die Leberschäden, das Zusammenspiel der Sexualhormone kommt aus dem Gleichgewicht.“
Angst vor sexuellem Versagen
So reagieren Frauen und Männer völlig unterschiedlich. Der weibliche Teil der Alkoholabhängigen reagiert oft mit totaler Ablehnung. „Die Neue Basis e.V“ (Vollmitglied im Diakonischen Werk der Ev.-luth. Landeskirche Hannover) hat festgestellt: „Vor allem alkohol- oder medikamentensüchtige Frauen berichten, dass sie sich von den sexuellen Wünschen ihres Partners belästigt fühlen (‚Er gibt mir keine Ruhe, immer muss ich für ihn bereit sein, ständig denkt er nur an Sex.‘) Manchmal haben sich hierbei richtiger Ekel oder Widerwillen gegen Sex entwickelt.“ Dazu kommt, dass viele alkoholabhängige Frauen in ihrer Kindheit oder Jugend selbst Opfer von sexueller Gewalt waren.
Im Gegenzug dazu: „Etwa ein Drittel aller suchtmittelabhängigen Männer berichten dagegen von Ängsten vor sexuellem Versagen oder Zurückweisung durch die Partnerin.“
In jener Phase, in der der übermäßige Alkoholkonsum noch versteckt wird, müssen dann für das sexuelle Versagen Ausreden herhalten: „Müdigkeit, körperliche Erschöpfung, Kopfschmerzen, Sorgen um die Kinder bzw. andere Angehörige oder beruflicher Stress werden mit der Zeit zu scheinbar objektiven Gründen dafür, dass sich immer weniger Zeit für die gemeinsame Sexualität findet.“ Oft reicht schon die allabendliche „Fahne“ als Distanzmittel.
Hier sind die Abhängigen oft schon an dem Punkt angekommen, wo das Besorgen des Alkohols, das Verstecken und die unauffällige Entsorgung der Flaschen so in den Mittelpunkt des Lebens treten, dass der Sex gar keinen Platz mehr findet.
Große Schmerzen, kein Orgasmus
Der körperliche Abbau tut sein Übriges. Bei alkoholabhängigen Frauen kommt es zu keiner Erregungskurve mehr, die Scheide bleibt trocken, das Einführen des Penis wird als schmerzhaft empfunden. Bei Männern macht die Unfähigkeit zur Erektion den Geschlechtsverkehr ohnehin unmöglich. Von Orgasmusfähigkeit kann in diesem Stadium ohnehin keine Rede mehr sein.
Wenn sich AlkoholikerInnen zum Entzug und Therapie entschließen, sind die Probleme noch lange nicht vorbei. „Schließlich gehen viele Abhängige stillschweigend davon aus, dass sexuelle Probleme mit Beginn der Abstinenz sich ganz von selbst lösen“, so Neue Basis e.V. Darum wird in den Therapiegesprächen dieses Thema auch gerne ausgeklammert oder überspielt: „Solche Privatangelegenheiten gehören nicht in die Therapie“ oder „auf diesem Gebiet ist bei mir alles in Ordnung.“
Bei der ersten sexuellen Begegnung mit dem/der PartnerIn stellt sich heraus, dass nichts „in Ordnung“ ist. Der Mensch ist kein Sexualroboter, der mit einem Knopfdruck von „aus“ auf „ein“ stellen kann. Alte Konflikte brechen wieder auf, es kommt erneut zu gegenseitigen Schuldzuweisungen. In extremen Fällen kann das sogar zu Rückfällen führen. Oder die Patienten erliegen den sinnlosen Versprechungen von „Wundermitteln“, die natürlich wirkungslos sind.
Hier kann nur das Therapeutengespräch – ideal wäre die Partnertherapie – und viel Geduld wieder zu einem Normalzustand führen.
In besonders fortgeschrittenem Stadium (siehe auch „Steter Tropfen führt zu irreversibler Demenz“) eines Alkoholikers hilft dann gar nichts mehr.

Foto: Oswalt Kolle: Deine Frau - das unbekannte Wesen (1)