Die mehrjährige Trinkerkarriere eines Jugendlichen
Mit 17 Jahren schon bei den Anonymen Alkoholikern

von Werner Schneider

Mit 13 Jahren hat er seinen ersten Whisky „gekostet“, der immer in der elterlichen Wohnung zu finden war. Er trank sich an der Seite älterer Freunde immer tiefer ins Alkoholiker-Loch. Niemandem fiel auf, dass der Bursche, ein AHS-Schüler, bereits ein massives Suchtproblem hatte. Mit 17 wurde er mit 3,4 Promille – das ist für manchen Erwachsenen bereits eine tödliche Dosis – in die Intensivstation eingeliefert. Der Oberarzt empfahl einen Aufenthalt in der Psychiatrie. Von dort landete der junge Mann bei den Anonymen Alkoholikern. Kevin W.* kann sich nicht vorstellen, nie wieder Alkohol anzugreifen.

„Alk-Info“: Zuerst eine Frage Kevin, darf ich noch du sagen?
Kevin W.: Freilich, bei den Anonymen Alkoholikern reden sich alle mit du an. Da sind die meisten in einem Alter, die könnten meine Großeltern sein.

Erzähle ein bisschen von deinem Elternhaus. Wird dort getrunken?
Meine Mutter ist Stationsschwester in einem großen Krankenhaus und mein Vater ist BHS-Professor für Deutsch und Englisch. Ob bei uns getrunken wird – na ja, mein Vater hat immer wenn er Schularbeiten oder Hausübungen zuhause korrigiert hat, zum Chillen einen oder zwei Whisky getrunken. Meine Mutter trinkt nur in Gesellschaft hie und da einen Sekt. Nein, gesoffen habe nur ich. Jetzt gibt es keinen Alkohol mehr im Haus und mein Vater trinkt auch nichts mehr.

Wie bist du auf den „Geschmack“ gekommen? Whisky ist nicht das übliche Einstiegsgetränk, der schmeckt erst nach einiger Gewöhnung…
Ich war noch in der dritten Klasse, da hat einer aus der Oberstufe eine Flasche Whisky mitgehabt und alle kosten lassen. Ich fand den nicht so grauslich. Außerdem war ich so schön high. Das war wirklich angenehm, dabei habe ich nur wenige Schlucke getrunken, ich habe fürchterlich husten müssen. Und dann habe ich auch daheim hie und da etwas getrunken. Mit Eis in einem großen Glas. Das war irgendwie cool.

Scotch macht doch eine fürchterliche Fahne, hat da nie jemand etwas bemerkt?
Nein, ich weiß auch nicht. Mich haben jedenfalls meine Eltern nie darauf angesprochen.

Aber man gibt sich ja üblicherweise einen Gute-Nacht-Kuss.
Da habe ich schon meine Zähne geputzt gehabt. Vielleicht hat mein Vater auch deshalb nichts gemerkt, weil er selbst eine Fahne gehabt hat, was weiß ich. Meine Mutter hat mich nur einmal erwischt, da habe ich zu viel gehabt und kotzen müssen. Sie hat mir gut zugeredet, dass ich das Zeug ja nicht anrühren soll, da war ich 14 oder 15 Jahre alt. Sie hat das für mein erstes Probieren gehalten, dabei habe ich schon ein, zwei Jahre getrunken.

Haben deine Schulleistungen nicht nachgelassen?
Überhaupt nicht. Ich bin ein guter Schüler. Wenn ich einmal einen Dreier habe, ist das schon ein halber Weltuntergang zuhause. Mein Vater lobt mich wirklich oft. Er lernt auch mit mir, er ist okay. Meine Mutter hat oft Nachtdienste, die kann sich nicht so kümmern, aber sie ist auch ganz lieb. Ich habe mit dem Saufen wirklich nicht angefangen, weil ich Sorgen habe oder vernachlässigt werde. Mir hat es einfach geschmeckt und die Wirkung ist super.

Hast du dir in die Schule auch harte Getränke mitgenommen, im Flachmann oder so?
Nein, das war gar nicht nötig. Nicht weit von meiner Schule ist eine Berufsschule und da gehen alle in ein Café, wo nicht nach dem Alter gefragt wird. Da kriegt man problemlos ein Bier oder eine Mischung (Wein mit Mineralwasser, Anm.). Die haben auch schon Polizeikontrollen gehabt, aber angeblich haben sie nie einen unter 16 Jahre erwischt.

Ältere Freunde besorgen für Jüngere AlkoholVerzeih‘, wenn ich das sage, aber du schaust nicht wirklich älter aus als du bist, da war die Alkoholbeschaffung nie ein Problem, auch im Kaffeehaus nicht?
Überhaupt nicht. Ich habe ein Krügel bestellt und ein Krügel bekommen.

…und wie hast du die harten Getränke beschafft?
Im Supermarkt sind sie manchmal streng. Dann habe ich einen aus einer höheren Klasse gebeten, das war kein Problem.

Wie viel hast du in der Regel getrunken?
Am Anfang eine Flasche Whisky in der Woche…

…mit 14 Jahren oder warst du da schon älter?
Naja, mit 13 oder 14 vielleicht noch nicht so viel. Da bin ich mit einer Flasche länger ausgekommen. Aber mit 15 war’s sicher schon regelmäßig eine Flasche. Das war so eine Gewohnheit. Ein Krügel Bier nach der Schule, dann die Aufgaben und dann meinen Whisky.

Wo hast du die Flaschen versteckt und wieder entsorgt?
In meinem Zimmer. Meine Mutter hat nie herumgeschnüffelt. Ich hab die in meinem Schreibtisch liegen gehabt – der war schon zugesperrt. Aber bei mir schaut es recht ordentlich aus, außerdem haben wir eine Frau, die putzen kommt. Ich hab‘ keine Probleme mit dem Verstecken gehabt. Und die leere Flasche habe ich in den Glascontainer geworfen, der Müllplatz ist bei uns nicht einsehbar. Das haben mir viele Anonyme Alkoholiker erzählt, dass sie beim Besorgen und beim Entsorgen solche Probleme gehabt haben, weil sie sich so geniert haben. Nein, das war bei mir nicht.

Wie ist es dann zum Exzess gekommen?
Seit ich 16 bin darf ich bis 23 Uhr ausbleiben, am Wochenende nur. Aber da sind die Partys. Und da wird ordentlich gesoffen. Ich bin fast immer mit den älteren Mitschülern beisammen. Die sind cooler. Die meisten gehen auch schon in Discos und nehmen mich mit. Mit dem Taschengeld geht sich meist nur ein Drink aus, aber wir feiern privat weiter. Da zahlt jeder was dazu und dann gibt’s meistens Wodka und Red Bull. Da bin ich dann schon regelmäßig angeschlagen nach Hause gekommen, aber die Eltern haben schon geschlafen oder meine Mutter war überhaupt im Nachtdienst. Einmal war mein Vater noch auf, der hat selbst einen Whisky getrunken und mich nur gefragt, wie’s so war. Ich bin nicht getorkelt und ich habe nicht gelallt oder gestottert. Außerdem macht der Wodka keine Fahne. Das war ganz easy.

Aber da hattest du noch keine 3,4 Promille…
Das war bei der Party von einem Berufsschüler. Da hat es Bourbon-Whiskey gegeben und wir haben gewettet, wer die meisten Schlucke ohne abzusetzen zusammenbringt. Da habe ich fast die ganze Flasche auf einen Zug ausgetrunken. Vorher haben wir noch ein paar Bier gehabt. Ich weiß das nicht mehr, ich war ohnmächtig, das haben sie mir nachher erzählt.

Du hättest sterben können!
Da war einer dabei, dessen Mutter ist Ärztin und der hat gleich gemerkt, dass ich eine Alkoholvergiftung (siehe auch „Erst Hypnose, dann Narkose“) habe und der hat die Rettung gerufen. Ich war fast zwei Tage lang weggetreten, erst dann hat man mich aus der Intensivstation entlassen in ein normales Spitalsbett. Meine Eltern waren fix und fertig wie sie gehört haben, dass ich eine Alkoholvergiftung gehabt habe und außerdem eine alkoholische Fettleber. Der Oberarzt hat dann geraten, dass ich auf ein paar Wochen in die Psychiatrie gehe. Dort war ich mit mehreren Alkoholikern beisammen und das war schrecklich. Die wollen gar nicht mit dem Saufen aufhören, die waren schon ein paar Mal auf Entzug. Die Psychologin hat dann etwas von den Anonymen Alkoholikern erzählt und dass es dort eine Runde für junge Menschen gibt. Bei denen war ich. Die sind mir alle irgendwie unreif vorgekommen. Dann bin ich in eine Gruppe mit Älteren gegangen und das hat mir getaugt. Manche sind schon 30 Jahre lang trocken und viele haben von ihren Erfahrungen mit dem jahrzehntelangen Saufen erzählt.

Wie stellst du dir deine Zukunft vor, wie hat man es in der Schule aufgenommen?
Ich habe dem Klassenvorstand und dem Direktor erzählt, was mit mir los war. Da waren meine Eltern auch dabei. Ich muss die drei Wochen Fehlstunden bis Jahresende nachholen, das dürfte ich schaffen. Wie’s weitergeht weiß ich noch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nie wieder einen Schluck trinke. Bei den Anonymen Alkoholikern reden sie von einer tödlichen Krankheit, die nicht heilbar ist. Und: ‚Lass‘ das nächste Glas stehen.‘ Ich weiß nicht, ob ich das auch 30 Jahre und länger durchhalte.

Du wirst wieder auf Partys gehen, wie machst du deinen Freundinnen und Freunden klar, dass du nichts Alkoholisches willst?
Ich weiß noch nicht, vielleicht sage ich, dass ich Antibiotika nehme.

Das geht vielleicht drei Wochen gut – und dann?
Keine Ahnung. Weißt du einen Rat?

Die Wahrheit ist immer gut. Das hast du auch bei deinem Klassenvorstand und bei deinem Direktor bemerkt. Was ist, wenn du sagst: ‚Ich kann nicht normal trinken, ich trinke immer zu viel, da lasse ich es lieber gleich bleiben.‘?
Das kann man vielleicht mit 40 oder 50 Jahren machen. Aber zu mir sagen die sicher: ‚Ein Glas vertragst schon!.‘

Dann sagst du nein. Lass‘ immer das erste Glas stehen.
Ich weiß nicht ob das klappt.

Gehst du weiter zu den Anonymen Alkoholikern?
Das möchte ich schon.

* Name von der Redaktion geändert

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)