„Eine Krankheit, die man sich erarbeiten muss“
Burnout abseits der Manageretagen

von Werner Schneider

Für Gundi D.*, 48, seit 30 Jahren im Kundendienst eines Großunternehmens tätig, begann alles damit, dass plötzlich im Unternehmen verlangt wurde, branchenfremde Produkte forciert an die Kunden zu bringen. Die Leistungen der einzelnen MitarbeiterInnen wurden öffentlich gelobt oder kritisiert, es gab kein Vier-Augen-Gespräch mehr mit den Vorgesetzten. Die Abteilung verwandelte sich in einen Jeder-gegen-jeden-Kriegsschauplatz. Gundi D. gehörte zu den am meisten Kritisierten und erlitt plötzlich einen Hörsturz.

Abklärung an der Neurologie, Behandlung mit leicht dosierten Kortisoninfusionen und blutgerinnungshemmenden Medikamenten. Es blieben ein Tinnitus und der Stress. Es folgte der zweite Hörsturz gepaart mit Panikattacken und Erbrechen vor dem Weg zur Arbeit. Jetzt hieß die Diagnose „Burnout“.
Drei Monate Krankenstand, absolute Ruhe, Besuche beim Psychotherapeuten wurden empfohlen. Mitten hinein platzte der Anruf vom Unternehmen: Sie möge sich doch, wenn sie „den Anforderungen“ nicht gewachsen sei, nach einer anderen, „leichteren“ Tätigkeit umsehen. „Die wollten sich einfach die 30 Jahre Abfertigungsanspruch sparen“, stellt Gundi bitter fest, „dabei hätte ich nie gedacht, dass mir das passiert, ich war nie in einer Führungsposition.“
Hinter dem Überbegriff Burnout, so meinen viele Experten, versteckten sich vielerlei psychische Erkrankungen. Aber: In Österreich finden laut Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2010 nur 50.000 Männer (1,5 % der Bevölkerung über 15 Jahre) und 84.100 Frauen (2,3 %) den Weg in eine Psychotherapie. Psychologen der TU Dresden haben aber in einer Studie festgestellt, dass (in Deutschland) pro Jahr rund ein Drittel der Bevölkerung, in der Altersgruppe der 18 – 35-jährigen sogar 45 %, psychisch bedingte Leiden hätten.
Angst vor Stigmatisierung
Auch wenn die Zahlen nicht unmittelbar auf Österreich umlegbar sind, die Größenordnung dürfte stimmen. Dass so wenige Betroffene psychologischen Hilfe in Anspruch nehmen, liegt zumeist einmal am Geld: Psychotherapie auf Krankenschein gibt es nur in Ausnahmefällen. Eine Langzeitbehandlung schlägt mit mehreren Tausend Euro zu Buche. Gleichauf die Angst vor Stigmatisierung. Psychisch Erkrankte will man nicht in seiner Nähe haben. Und die Betroffenen wissen das. Haben, bis sie selbst erkrankten, ebenso gedacht. Einem „Psycho“ haftet etwas Gefährliches an.
Da kommt die Diagnose Burnout geradezu zur rechten Zeit. „Das ist eine Krankheit, die man sich erarbeiten muss“, sagt Georg Schumerus, einer der Mitautoren der Dresdener Studie. Und so titelte die angesehene deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ auch in ihrer Ausgabe vom 5. Juli 2012 so treffend: „Coach oder Couch“ – ohne Fragezeichen, als sei eines von beiden wohl immer notwendig. Burnout macht die psychische Störung geradezu salonfähig. Solange sie bei den „hart arbeitenden“ Führungskräften angesiedelt ist. Da leisten sich Unternehmen schon einmal eigene Psychologen, um die Mitglieder der Chefetagen wieder rasch an den Schreibtisch zurück zu bringen. Burnout bei den „kleinen“ MitarbeiterInnen oder gar bei Arbeitslosen wird diskret unter ferner liefen abgelegt. Obwohl viele Unbeschäftigte sich massiv mit dem pausenlosen Schreiben von Bewerbungen unter Druck setzen, jede Absage oder Nicht-Antwort als persönliche Niederlage empfinden und sich innerhalb der Familie und der Gesellschaft minderwertig fühlen. Beste Voraussetzungen für ein Burnout.
Hoher Anspruch an sich selbst
Hans-Christian Hansen, Chefarzt für Neurologie und Psychiatrie in Neumünster stellt fest, dass „gerade Menschen mit einem hohen Anspruch an sich selbst“ gefährdet seien und oft lange keinen Arzt aufsuchten. Und dazu gehören eben auch Arbeitslose und Angestellte/ArbeiterInnen im unteren Segment. Perfektionismus beginnt nicht auf der mittleren Managementebene. Gundi D. bezeichnet sich selbst auch als Menschen, „der sich jede Beratung, jedes Kundengespräch zehnmal überlegt und oft tagelang vorbereitet“ hat. Dann schmerzt öffentlich vorgetragene Kritik doppelt. Dann wehrt sich der Körper. Der Psychiater, den Gundi schließlich auf Anraten des Hausarztes aufsuchte, weil auch medikamentöse Behandlung ratsam schien, empfahl eine längere stationäre Behandlung. Depression und Selbstgefährdung schloss er nicht aus. Dieses Ansinnen versteckte die Geschockte sogar vor ihrer Familie: „Es stimmt, ich habe manchmal einfach nicht aufstehen können – aber an Selbstmord habe ich nie gedacht!“
Der Psychiater Welschehold bestätigt: „Nicht jeder, der sich ausgebrannt und erschöpft fühlt, ist auch im engeren Sinne psychisch krank und behandlungsbedürftig.“ Nur: Es gehört abgeklärt. Ob Lebenshilfe oder Analyse und Medikamente notwendig sind, sollte der Fachmann/die Fachfrau feststellen und dazu sollte sich der Patient/die Patientin Zeit nehmen.
Gundi D. weigerte sich, selbst zu kündigen. Man hat sie an eine andere „ruhigere“ Position verschoben. „Ich versuche jetzt bewusst, das nicht als Mobbing zu sehen, obwohl meine jetzige Tätigkeit von jedem Praktikanten ausgeführt werden könnte. Ich warte, wie lange sich die Firma das bei meinem Gehalt leistet. Irgendwann werden sie mich kündigen und die Abfertigung zahlen.“ Und dann? Mit 48, 49 oder 50 einen Neustart versuchen, geht das ohne Angst? Zögernde Antwort: „Damit setze ich mich jetzt noch nicht unter Druck. Ein Burnout reicht vorläufig.“

* Name von der Redaktion geändert