EU-Parlament fordert Schutz für Jugendliche und Schwangere
Warnhinweise auf alle alkoholischen Getränke

von Harald Frohnwieser

Eine Abstimmung im EU-Parlament Ende April 2015 sorgte schon im Vorfeld für viel Aufsehen. Gefordert wird von den Politikern in Straßburg, dass es ähnlich wie auf Zigarettenpackungen auch auf alle alkoholischen Getränke Warnhinweise geben soll, die auf die Gefahren des Alkohols aufmerksam machen. Damit will die EU vor allem Jugendliche und Schwangere ansprechen. Darüber hinaus soll esWarnhinweise auf Alkohol auch Angaben zu Inhaltsstoffen und Kalorien auf Bier-, Wein- oder Schnapsflaschen geben. Während sich so mancher Politiker der einzelnen Mitgliedsstaaten den geplanten Warnhinweisen ablehnend zeigt, kann Prim. Dr. Kurosch Yazdi, Leiter des Suchtzentrums des Kepler Universitätsklinikums in Linz, Oberösterreich, den Warnhinweisen durchaus etwas abgewinnen, wie er im „Alk-Info“-Interview betont.

„Obwohl die Warnhinweise nur wenige Menschen davon abhalten werden, zum Alkohol zu greifen, finde ich sie trotzdem gut. Es werden zwar nur ein paar wenige Prozent sein, die man damit erreichen kann, aber ein Versuch ist es wert“, sagt der Leiter des Suchtzentrums in der oberösterreichischen Kepler Universitätsklinikums, Prim. Dr. Kurosch Yazdi, über die Ende April durchgeführte Abstimmung im EU-Parlament in Straßburg. Effizienter wäre es für Yazdi freilich, wenn es eine regelmäßige Aufklärung über die Gefahren des Alkohols in Schulen gäbe, aber die wären, so der Suchtexperte, teuer, während die Warnhinweise auf den Etiketten von Flaschen oder Dosen dem Steuerzahler nichts kosten und daher leichter durchzuführen sind. Aber: „Wenn jemand unter einer schweren Alkoholsucht leidet, wird das nichts bewirken. Doch vielleicht kann man den einen oder anderen Jungen, der dabei ist, alkoholsüchtig zu werden, doch dazu bringen, sein Trinkverhalten zu hinterfragen“ (siehe auch „Gute Beziehungen sind die beste Suchtprophylaxe“).
Aber um diejenigen, die bereits chronisch an Alkoholismus erkrankt sind, geht es, zumindest vorläufig, den EU-Parlamentariern ohnehin nicht. Sie wollen mit einer EU-weiten einheitlichen Etikettierung vor allem Jugendliche und Schwangere erreichen. Grundlage für die durchgeführte Debatte ist ein Entwurf des Gesundheitsausschusses, der die Abgeordneten der EU-Kommission auffordert, unverzüglich mit den Arbeiten an der geplanten EU-Strategie gegen Alkoholmissbrauch zu beginnen. Die Mitgliedsländer sollen von 2016 bis 2022 in ihrem Kampf gegen den Alkoholismus und seine Folgen unterstützt werden, bindend für die EU-Staaten ist diese Resolution allerdings nicht.
Der Leiter der Therapieeinrichtung „Zukunftsschmiede“ in Pressbaum bei Wien, Christian Voggeneder Msc, glaubt nicht, dass Warnhinweise Jugendliche vom Trinken abhalten könnten. „Die würden nur einen Kick auslösen und pubertäres Ausloten von Grenzen fördern“, glaubt der Suchtexperte. Nachsatz: „Vor allem junge Menschen suchen die Gefahr. Und wenn diese sozusagen amtlich ist, dann wird erst recht ausprobiert, wie weit man gehen kann.“
Keine Schockbilder wie auf Zigarettenpackungen
Geht es nach den Abgeordneten, dann sollen auch die alkoholbedingten Verkehrsunfälle verringert werden. Schätzungen zufolge sind 5,9 Prozent aller Todesfälle weltweit auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen, wobeivor allem Unfälle, Gewalttaten und Krankheiten im Vordergrund stehen. Bei einem Viertel der 20- bis 39-Prim. Kurosch YazdiJährigen ist Alkoholmissbrauch schuld am frühzeitigen Tod. Die sozialen Kosten, die der Alkohol europaweit verursacht, belaufen sich auf 155 Milliarden Euro im Jahr. Weltweit kommt es zu 3,3 Millionen Alkoholtote im Jahr.
Gegen Schockbilder, die es bereits in einzelnen EU-Ländern auf Zigarettenpackungen gibt, wehren sich allerdings die Christdemokraten. „Wir wollen den Bürgern nicht alles vermiesen, was Spaß macht“, stellt der christdemokratische Europaparlamentarier Peter Liese fest. Der CDU-Politiker betont aber, dass er dem Vorstoß der EU generell nicht ablehnend gegenübersteht. Liese denkt daher eher an Piktogramme oder Hinweise nach dem Motto „Don't drink an drive“. Peter Liese stellt aber klar: „Ich bin der festen Überzeugung, dass man Alkohol nicht verteufeln darf und Alkohol in keiner Weise mit Tabak zu vergleichen ist. In unserem Antrag wird anerkannt, dass gemäßigter Alkoholkonsum nicht zwangsläufig im Gegensatz zu einer gesunden Lebensführung stehen muss.“
Auch über Inhaltsstoffe soll informiert werden
Die EU will aber nicht nur auf die Gefahren einer Alkoholsucht aufmerksam machen, sondern auch über die Inhaltsstoffe und Kalorien, die in den einzelnen alkoholischen Getränken enthalten sind, informieren. Was bei den Bierbrauern auf Verständnis stößt. Immerhin kündigten Ende März 2015 die vier größten Bierbrauereien der Welt (Anheuser-Busch InBev (AB-InBev) aus Belgien, SAB Miller aus Großbritannien, Heineken aus den Niederlanden und Carlsberg aus Dänemark) an, ihre Kunden künftig über Nährwerte und Zutaten zu informieren. Damit wollen die Brauer nicht nur transparenter werden, sie wollen damit auch gegen den Ruf, Bier sei ein Dickmacher, ankämpfen.
„Wir möchten, dass die Konsumenten in Europa die Bierzutaten kennen und erfahren, wie sie in einen ausgewogenen Lebensstil passen“, so der Generalsekretär des Dachverbandes, Pierre-Olivier Bergeron. Einen Zeitplan, wann das durchgeführt wird, gibt es aber noch nicht.
Auch Wegfahrsperren gefordert
Die EU will aber noch weiter gehen. Die Parlamentarier fordern auch, dass in allen Autos verpflichtend Wegfahrsperren installiert werden, die Alkoholisierte aufgrund deren Atemluft daran hindern, ihr Fahrzeug zuEuropäische Union (EU) starten. Was wiederum die Autohersteller auf die Palme bringt. „Der flächendeckende Einbau von atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperren wäre mit erheblichen Kosten verbunden“, heißt es vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Die Kosten dafür, so der VDA, müsste die Mehrheit der Autofahrer auch zahlen, die sich nichts zuschulden kommen lassen. Aber: In den EU-Staaten Belgien, Schweden und den Niederlanden sind Messgeräte für Alkoholsünder bereits vorgeschrieben, in vielen anderen Staaten wie Deutschland oder Österreich wird darüber zumindest diskutiert.
Keine Anhebung auf 18 Jahren
Abgelehnt wurde hingegen ein Antrag des EU-Parlaments, das Mindestalter, ab dem Alkohol konsumiert werden darf, auf 18 Jahren anzuheben. Im Antrag zur Anhebung des Mindestalters hieß es wörtlich: „Das Europäische Parlament fordert die Mitgliedsstaaten auf, ihre Bemühungen zum Schutz von Jugendlichen vor alkoholbedingten Schäden zu investieren, namentlich in dem die derzeit geltenden Altersgrenzen auf ein Mindestalter von 18 Jahren angehoben werden und für eine verantwortungsvolle Werbung gesorgt wird.“ In Deutschland dürfen Jugendliche wie in vielen anderen Ländern auch Bier und Wein bereits ab 16 Jahren konsumieren, in Österreich obliegen die Jugendschutzgesetze den einzelnen Bundesländern. So dürfen beispielsweise schon 16-Jährige in Wien auch harte Getränke wie Schnaps oder Wodka trinken, in anderen Bundesländern ist dies erst ab 18 erlaubt (siehe auch „Moderate Österreicher, strenge Schweden“ und „Alkohol – zur Gänze verboten oder für alle erlaubt“).
Kurosch Yazdi hingegen ist überzeugt, dass eine Anhebung des Mindestalter auf 18 Jahren durchaus etwas bringen würde. „So wie in den USA, wo Alkohol erst ab dem Erwachsenenalter getrunken werden darf, würde das auch bei uns etwas bringen“, sagt er. Doch das wurde in Straßburg jetzt abgelehnt. Auch was die geforderten Warnhinweise und die Inhaltsangaben der Nährwerte betrifft, wird es wohl noch viel Zeit brauchen, bis die einzelnen Mitgliedsstaaten dazu bereit sind, Jugendliche, Schwangere und und den Rest der Bevölkerung vor den Gefahren des Alkohols zu warnen. Was bei Zigaretten europaweit mittlerweile längst Usus ist, ist beim Alkohol derzeit für viele Politiker einfach nicht denkbar. Denn dann müssten auch sie ihr Verhalten überdenken und nicht bei jeder Brückeneinweihung oder 100-Jahr-Feier vor den Fotografen „leutselig“ mit einem Bier- oder Schnapsglas posieren.

Foto: Thomas Frohnwieser (1) Grafik: Thomas Frohnwieser (1)