Ärztekammer Nordrhein will ihre Mitglieder schulen
Wenn Schauspieler Alkoholkranke mimen

von Harald Frohnwieser

Es muss nicht immer gleich ein chronischer Missbrauch sein. Alkohol ist so oder so eine unterschätzte Gefahr, stellt die Ärztekammer Nordrhein fest und will nun aufrütteln. Mittels Informationsflyer, die in den Wartezimmer der niedergelassenen Ärzte aufliegen und mit Fortbildungen für ihre Mitglieder, die darin geschult werden, das sensible Thema Alkohol ihren Patienten gegenüber richtig anzusprechen, will man auf die Gefahren des regelmäßigen Konsums von Bier, Wein oder Wodka aufmerksam machen. Für Ärztekammerpräsident Rudolf Henke ist es auch wichtig, dass ein Problembewusstsein bezüglich des Alkoholkonsums geschaffen wird.

Für einen niedergelassenen Arzt ist es nach wie vor sehr schwer, einen Patienten darauf anzusprechen, dass er möglicherweise zu viel Alkohol trinkt. Die Angst, dass er aufsteht, die Praxis fluchtartig verlässt und sich einen anderen Mediziner sucht, der keine lästigen Frage stellt, ist einfach zu groß. Das weiß auch die Ärztekammer Nordrhein mit Sitz in Düsseldorf. Und hat sich zu diesem heiklen Thema etwas einfallen lassen. Es wurden nicht nur Informationsflyer für die Wartezimmer erstellt, die Ärztekammer bietet ab dem Frühjahr 2016 auch Fortbildungen an, in denen Schauspieler, die Patienten spielen, mit den Ärzten den richtigen Dialog in dieser sensiblen Angelegenheit üben. „Wir brauchen in unserer Gesellschaft einen kritischeren Umgang mit dem Thema Alkohol“, sagt der Ärztekammerpräsident von Nordrhein, Rudolf Henke, „wir brauchen mehr Verständnis für Menschen, die Alkoholprobleme haben und wir als Ärztinnen und Ärzte müssen und werden früher intervenieren, zum Schutz der Betroffenen und deren Angehörigen.“
Konsum von Alkohol meist positiv besetzt
Dass die Ärztekammer dieses Service ihren Mitgliedern anbietet, hat einen wichtigen Hintergrund: Wie sich in zahlreichen Untersuchungen und Studien herausgestellt hat, birgt regelmäßiger Alkoholkonsum deutlich mehr Gesundheitsrisiken als bisher angenommen. Aktuelle Studien, so Henke, würden belegen, dass körperliche Folgeschäden nicht nur bei einer Alkoholabhängigkeit zu erwarten seien. Ob der Alkohol missbräuchlich verwendet wird, ob bereits eine Suchterkrankung vorliegt oder nicht, tut somit nichts zur Sache. „Der Konsum von Alkohol ist in unserer Gesellschaft meist positiv besetzt. Wir verbinden mit ihm die Bierdusche nach der Meisterschaftsfeier, den Sektempfang oder das verdiente Feierabendbier“, so Henke, „als problematisch werden in Deutschland nur extremer Missbrauch wie Komatrinken oder die Alkoholabhängigkeit erkannt.“ Dabei trinkt in Deutschland einer aktuellen Studie zufolge jeder siebte Erwachsene mehr als empfohlen wird, 1,8 Millionen gelten als alkoholabhängig.
Regelmäßiger Alkoholkonsum schädlicher als angenommen
Doch genau diese bisherige Unterscheidung zwischen moderaten und missbräuchlichen Alkoholkonsum will der Ärztekammerpräsident nun in Frage stellen: „Die Aufteilung in ,guten' und ,schlechten' Alkoholkonsum ist wissenschaftlich nicht nachzuvollziehen.“ Als Grund gibt Rudolf Henke an, dass der Übergang vom Genusskonsum zu problematischem Trinkkonsum bis hin zur Abhängigkeit fließend ist. Und zweitens, weil auch regelmäßiger Alkoholkonsum Körper und Geist enorm schaden können.
Rudolf Henke weiter: „Zu hoher Alkoholkonsum schadet vor allem der Leber und dem Gehirn und ist zudem häufiger Grund für Entzündungen der Bauchspeicheldrüse sowie der Magenschleimhaut. Außerdem ist das Risiko für Herzmuskelerkrankungen und Bluthochdruck erhöht, während Potenz und sexuelle Erlebnisfähigkeit beeinträchtigt werden.“ Wie gefährlich regelmäßiges Trinken sein kann, beweist die Tatsache, dass dadurch Krebserkrankungen - wie zum Beispiel der Leber, in der Mundhöhle, im Rachenraum und in der Speiseröhre, sowie im Enddarm - zur Folge haben können. Auch die weiblichen Brustdrüsen können aufgrund des vielen Alkoholkonsums von Krebszellen befallen werden. Aber nicht nur der Körper, auch die Psyche leidet darunter, wenn immer wieder zu Alkohol gegriffen wird. „Ein ständiger Alkoholkonsum verändert die Persönlichkeit und kann zu Reizbarkeit und Unruhe, Ängsten oder gar Suizidgedanken führen“, weiß der Ärztekammerpräsident von Nordrhein.
Gefahren des Trinkens deutlicher thematisieren
Warum aber ist es sowohl für Mediziner als auch für Patienten so schwer, den Alkoholkonsum anzusprechen? „Das gesellschaftliche Stigma ist ein wesentlicher Grund dafür, warum solche Menschen oft erst nach vielen Jahren der Abhängigkeit ärztliche Hilfe suchen – häufig leider erst in einem Stadium, in dem somatische, psychische und soziale Krisen nicht mehr zu verleugnen sind“, lautet die Antwort des Präsidenten. Und weiter: „Das Ansehen eines Trinkers ist in unserer Gesellschaft schlechter als das Ansehen von Menschen mit Schizophrenie, AIDS oder Depressionen. Ihnen wird häufig mangelnder Wille und ein schlechter Charakter unterstellt.“ Daher gilt: „Um die Betreuungsquote von Personen mit alkoholbezogenen Störungen zu verbessern, müssen die mit dem Alkoholkonsum verbundenen Gefahren deutlicher thematisiert, Menschen mit Alkoholproblemen früher angesprochen und nach aktuellen wissenschaftlichen Standards behandelt werden.“ Denn: „Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, gerade von Hausärzten und Frauenärzten zu ihren Patientinnen und Patienten, bietet eine gute Basis für derartige Gespräche. Ärztliche Beratungsgespräche mit dem Ziel, zu einem risikoarmen Konsum zu motivieren, haben gerade in einem frühen Stadium von riskantem Konsum hohe Aussicht auf Erfolg.
Problembewusstsein schaffen
Daher setzt sich Henke zum Ziel, in der Bevölkerung insgesamt ein Problembewusstsein für die Risiken auch eines geringen Alkoholkonsums zu schaffen und einen risikoarmen Umgang mit Alkohol zu fördern. Im Klartext: Jeder sollte wissen, wie ein risikoarmer Konsum von Alkohol aussieht. „Als Anhaltspunkt hierfür gilt derzeit, dass Männer maximal 20 bis 24 Gramm reinen Alkohol pro Tag und Frauen nicht mehr als 10 bis 12 Gramm zu sich nehmen. Anders ausgedrückt heißt das, dass Männer höchstens einen halben Liter Bier oder einen Viertelliter Wein trinken, für Frauen gilt die Hälfte“, gibt Rudolf Henke das tägliche Limit vor. Damit nicht genug rät er auch dazu, zwei bis drei Tage pro Woche zur Gänze auf den Alkohol zu verzichten: „So kann man am besten eine Gewöhnung vermeiden.“