Flüchtlinge und Alkohol
Allah ist weit weg…

von Harald Frohnwieser

Ihr Glaube verbietet ihnen strikt den Konsum von Alkohol. Und in ihren Herkunftsländern halten sich auch die meisten daran. Doch in Europa angekommen, beginnen nicht wenige muslimische Flüchtlinge mit dem Trinken. Meist sind es junge Männer, die mitunter schwer traumatisiert sind. Der Krieg, der Verlust von Angehörigen und Freunden und auch die Flucht hinterlassen ihre Spuren, die sich nicht so leicht beseitigen lassen. Mit dem Alkohol können sie das Erlebte vergessen, zumindest solange die Wirkung anhält. Doch mit dem Alkohol kommen auch die Probleme: Aggression, Gewalt, Verlust von Hemmungen. Dazu kommt, dass die Muslime wegen des Trinkens besonderen Risiken ausgesetzt sind, weil sie in ihrer Jugend nie die Chance hatten, einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Alkohol zu erlernen, wie ein Suchtforscher aus Hamburg erklärt.

Ali ist 19, kommt aus Pakistan und hat in Deutschland um Asyl angesucht. Der Flüchtling lebt seit mehreren Wochen in einer Asylunterkunft im schwäbischen Ellwangen und schwärmt für Hühnchen und Chips. Ali ist ein typischer muslimischer junger Mann, aber nur fast. Denn im Gegensatz zu seinen Freunden, die in Pakistan blieben, trinkt Ali gerne Alkohol, wenn er sich mit anderen jungen Flüchtlingen am Wochenende trifft. Die Burschen kaufen sich dann ein paar Flaschen Wodka, hin und wieder darf es auch ein Rum sein. Auf die Frage, ob er zu Hause auch Alkohol getrunken habe, antwortet der junge Mann entsetzt: „Nein! Mein Vater würde mich umbringen, wenn er das wüsste.“
Doch der Vater ist weit weg und Allah ebenso. Das gilt auch für ein Drittel der rund 900 Asylwerber, die in Ellwangen untergebracht sind: sie trinken Alkohol, obwohl ihr Glaube ihnen das verbietet (siehe auch „80 Schläge für den Genuss von alkoholischen Getränken“). Doch das hat Folgen. Der Geschäftsführer des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg, Ingo Schäfer, berichtet, warum Alkohol für Muslime besonders gefährlich ist: „Sie hatten in der Jugend nicht die Chance, eine ausgewogene Erfahrung mit Alkohol zu lernen – und treffen hier auf massenhafte Verfügbarkeit.“
„Denen ist langweilig und sie haben Probleme“
Norman Schmidt, der in der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen für Sicherheit und Ordnung sorgen muss, kann zwar von keinen gröberen Ärger berichten, aber: „Das Trinken der Flüchtlinge bereitet mir Sorgen. Denen ist langweilig, und sie haben Probleme.“ Besonders beliebt, so Schmidt, ist Schnaps. „Schlimm ist es, wenn es Taschengeld gibt. Dann ziehen sie los und kaufen ein, von der Dose Bier bis zum Wodka“, erzählt er. Anmerkung: Ein allein reisender Flüchtling erhält in Deutschland 140 Euro im Monat. Auf dem Gelände des Flüchtlingsheims wird freilich nicht getrunken, denn da herrscht striktes Alkoholverbot. Deshalb konsumieren die Männer den Alkohol auf Wiesen oder im Stadtzentrum. Doch so mancher hat schon versucht, Norman Schmidt auszutricksen und Alkohol mit in die Unterkunft zu schmuggeln, aber der Sicherheitsmann kennt alle Tricks: „Da werden Wodkaflaschen über den Zaun geworfen, Rum unter dicken Jacken versteckt oder Schnaps in leeren Sprudelflaschen umgefüllt.“ Wenn Schmidt oder seine Kollegen fündig werden, dann wird der Alkohol ins Klo geschüttet: „Eine Flasche Wodka oder Whisky ist ja viel Geld, aber sie versuchen es immer wieder.“
Alkohol spielt vor allem bei jungen Männern eine Rolle
Dass in den Unterkünften kein Alkohol getrunken werden darf, hat natürlich einen Grund: „Alkohol spielt bei Auseinandersetzungen in Heimen, wo es um Streitereien, Bedrohungen und Schlägen geht, häufig eine Rolle“, sagt der Sprecher des deutschen Innenministeriums, Rüdiger Felber. Aber: „Das sind Einzelfälle, ein Großteil der Flüchtlinge ist unauffällig.“
Anders sieht das die Abteilungsleiterin im Kieler Gesundheitsministerium, Reneé Buck. In einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ sagt sie: „Alkohol spielt vor allem bei den jungen Männer eine Rolle. Viele sind von ihren Familien alleine auf den Weg geschickt worden, so nach dem Motto, du schaffst es, dich da durchzubeißen! Sie sehen sich einer Herausforderung gegenüber, der sie nicht unbedingt immer gewachsen sind. Daher wird Alkohol zunehmend eine Rolle spielen – egal, aus welchem Herkunftsland die jungen Männer gekommen sind. Das ist ein Problem, das inzwischen erkannt wurde.“ Auch Ingo Schäfer hat festgestellt, dass die Zahl der trinkenden Asylwerber und den damit verbundenen Problemen zunimmt: „Die Beobachtungen und Konflikte häufen sich seit Herbst 2015.“
Viele sind einsam
Auch im nordhessischen Landkreis Kassel kennt man die Probleme: „Ich könnte ein Lied von meinen Erlebnissen singen“, sagt ein Tankwart der Kleinstadt Calden, „da kommen oft bis zu zehn Flüchtlinge am Stück zu mir und kaufen die Regale leer.“ Meist ist es Hochprozentiges, das sie verlangen, und in den meisten Fällen benehmen sich die jungen Männer auch recht anständig, doch es gibt Ausnahmen: „Es kommt aber auch vor, dass manche schon besoffen ins Geschäft stürmen, herumbrüllen und unsere Kunden belästigen. Wenn es überhand nimmt, dann rufe ich halt die Polizei, das ist schon öfter vorgekommen.“
Einen Zuwachs in ihrer Beratungsstelle kann auch Pia Sohns-Riedl feststellen. Die Leiterin des Zentrums für Jugendberatung und Suchthilfe für den Hochtaunuskreis im deutschen Bundesland Hessen erzählt in einem Interview, dass auch schon neu angekommene junge Flüchtlinge Hilfe suchen. „Es sind junge Migranten, die in unsere Beratungsstelle kommen, sie sind zwischen 14 und 18 Jahre alt. Es sind junge Männer mit viel Testosteron, die Alkohol und Drogen ausprobieren möchten.“ Auf die Frage, warum sie zu diesen Mitteln greifen, sagen sie, dass sie entspannen wollen und auch als Opposition zu ihren Vätern. „Viele Flüchtlinge sind auch einsam, haben noch keine Beziehung und greifen deshalb zu Alkohol oder Drogen“, so Sohns-Riedl.
Polizisten werden verletzt
Auch in Österreich kennt man das Problem mit den trinkenden Flüchtlingen. So fordert das rechts-konservative Bündnis Liste Burgenland (LBL) ein Alkoholverbot in Asylunterkünften und begründet dies damit, dass es immer wieder Vorfälle gibt, an denen betrunkene Asylwerber beteiligt sind. „Viele Asylwerber trinken Alkohol. Und da wäre es sinnvoll, in den Asylunterkünften Alkoholverbot zu geben – oder gleich generelles Alkoholverbot für Asylwerber“, so LBL-Obmann Manfred Kölly. In einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung schildert Kölly Situationen, die seiner Wahrnehmung nach keine Einzelfälle sind: „Immer wieder das selbe Bild: Betrunkene Asylwerber kommen untereinander in Streit und verletzen sich. Beim Eintreffen der Polizei werden die Polizisten zum Feindbild und durch Asylwerber verletzt.“
Keine generelle Regelung
Im Büro des österreichischen Flüchtlingskoordinators Christian Konrad sind solche Fälle kein Thema. „Das ist Angelegenheit der Betreiber, da gibt es keine generelle Regelung“, teilt ein Sprecher auf „Alk-Info“-Anfrage mit. Immerhin haben Recherchen ergeben, dass in der Hausordnung der Bundesbetreuungsstellen von einem generellen Verbot von Alkohol und Suchtmitteln die Rede ist.
„Auch in unseren Einrichtung gibt es klare Hausregeln, an die sich die BewohnerInnen halten müssen, unter anderem an den Alkoholverbot.“, teilt eine Sprecherin der Caritas, die mehrere Flüchtlingsunterkünfte betreibt, auf Anfrage mit.
Warum also trinken Muslime Alkohol, obwohl sie es aus religiöser Sicht gar nicht dürfen? Der Leiter der Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen, Berthold Weiß, bringt es auf den Punkt: „Vielleicht trinken sie aus dem gleichen Grund, wie die Leute hier auch trinken – weil man vergessen will.“

Zum Thema hat die Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) ein Video erstellt. Das Video ist in den Sprachen Deutsch, Englisch, Arabisch, Dari und Tigrinya zum Download verfügbar: