Ein Co-Alkoholiker erzählt:
„Man vergisst auf sein eigenes Leben…“

von Harald Frohnwieser

Er ist in seinem Beruf erfolgreich. Er ist schwul und lebt heute in einer eingetragenen Partnerschaft. Und er hat die Hölle hinter sich. Hannes W.* war viereinhalb Jahre mit einem Alkoholiker liiert, der sich buchstäblich zu Tode soff. „Ich bin in eine Co-Abhängigkeit geschlittert, aus der ich fast nicht mehr raus gekommen bin“, erzählt der Mitte Fünfzigjährige im „Alk-Info“-Interview über die Beziehung zu einem Menschen, den er geliebt hatte und dem er helfen wollte – es aber nicht konnte. Hannes W. scheiterte daran, das Leben seines Partners zu leben. Resümee: „Heute würde ich viel schneller einen Schlussstrich ziehen. Denn wenn jemand drei Flaschen Wodka am Tag trinkt, dann kann man ihm nicht mehr helfen.“

„Alk-Info“: Herr W., haben Sie von Anfang an gewusst, dass Ihr Freund Alkoholiker ist?“
Hannes W.: Nein, davon hatte ich zunächst keine Ahnung. Aber ich habe bald bemerkt, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt. Er schlief schlecht, war unruhig, hatte große Stimmungsschwankungen. Ich habe ihn daraufhin angesprochen und er hat erzählt, dass er in einer geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie gewesen ist, wo man eine Art Schizophrenie diagnostiziert hat.

Wie haben Sie dann mitbekommen, dass er alkoholabhängig ist?
Meine ganze Hausbar war leer gesoffen. Ich habe zunächst meine Putzfrau verdächtigt, dann Verwandte und Freunde, die zu Besuch waren. Meinen Partner selbst hatte ich anfangs nie betrunken erlebt, denn wenn er sich zugeschüttet hatte, meldete er sich einfach nicht bei mir. Als er einmal bei mir war, fragte ich ihn, ob er was aus der Hausbar will. Er hat aber nur ein Glas Wasser verlangt. Doch kaum als ich mich umdrehte, war er an der Bar. Da ist mir klar geworden, dass er Alkoholiker ist.

Homosexueler Co-AlkoholikerHaben Sie ihn darauf angesprochen?
Ja. Und er hat mir dann auch gesagt, dass er ein Alkoholproblem hat. Und er hat mir gesagt, wie viel er trinkt, nämlich bis zu drei Flaschen Wodka am Tag.

Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich war geschockt und habe gesagt: „Du hast nicht ein Alkoholproblem, du bist ein Alkoholproblem.“

Wie ging es dann weiter?
In dieser Phase war er bereits voll im sozialen Abstieg. Aus seiner Wohnung musste er raus, weil er seine Miete nicht mehr zahlen konnte. Die Delogierung habe ich dann für ihn abgewickelt, weil er sich nicht mehr darum kümmern konnte. Ich war auch für ihn beim Sozialamt. Und beim AMS. Er selbst kriegte nichts mehr auf die Reihe.

Wie ist es Ihnen dabei ergangen?
Ich habe nach und nach mein Leben völlig umgestellt, bin fast zum Antialkoholiker geworden, obwohl ich selbst kein Alkoholproblem habe. Langsam wurde mir auch bewusst, dass ich in eine Co-Abhängigkeit geraten bin, weil ich immer öfter das Gefühl hatte, sein Leben leben zu müssen. Das wurde sehr dominierend, weil sich ja alles um ihn gedreht hat. Wenn ich im Büro war, konnte ich mich oft schlecht auf meine Arbeit konzentrieren. Da war immer der Gedanke, wie es ihm wohl geht, wenn ich nicht zu Hause bin bei ihm.

War er berufstätig?
Nein, einen Beruf konnte er nicht mehr ausüben. Er war gelernter Koch, aber schon lange ohne Arbeit. Aber wenn es ihm etwas besser ging, was ja auch vorkam, dann hat er Bilder gemalt.

Haben Sie Hilfe gesucht?
Ich habe Bekannte um Rat gefragt, aber bald festgestellt, dass ich keinen bekommen kann. Man hat mir zum Beispiel gesagt, ich soll mich halt damit abfinden, dass er trinkt. Aber wie soll das gehen? Ich konnte doch nicht zuschauen, wie sich jemand auf Raten umbringt. Oder man hat mir gesagt, ich soll ihm viel Liebe geben. Das ist aber auch ein Blödsinn. Was jemand in so einem Stadium braucht, ist Distanz und Disziplin.

Wie ging Ihr Bekanntenkreis damit um?
Das hat niemand verstanden. Die haben mich gefragt, ob ich einen Vogel habe, weil ich mir das antue. Ich verlor damals viele Freunde.

Eine Psychotherapie für Sie kam nicht in Frage?
Das habe ich mir schon überlegt. Aber da hätte sich unweigerlich die Frage ergeben, ob ich so weitermache wie bisher oder ob ich die Beziehung beenden soll. Und ich konnte sie nicht beenden, das habe ich gewusst. Meine Angst, dass er sich dann umbringt, war viel zu groß. Es blieb für mich also nur übrig, dass ich den Weg mit ihm bis zur bitteren Neige mitgehe.

War er in ärztlicher Behandlung?
Entzüge hat er schon gemacht, da hatte er alle Stationen durch. Zum Schluss war es so, dass er, als er wieder einmal von einem Entzug kam, sich gleich auf dem Heimweg eine Flasche Wodka besorgte. Ihm war nicht mehr zu helfen. Er war auch oft, wenn er getrunken hatte, aggressiv. Das war so arg, dass ich kaum richtig durchschlafen konnte. Mit einem Auge war ich immer wachsam weil ich nicht wusste, was passieren wird. Und es ist ja auch was passiert, sehr viel sogar. Zwei Mal hat er die Wohnung angezündet und mehrmals musste ich die Polizei rufen, weil er so aggressiv war. Und trotzdem konnte ich ihn nicht verlassen.

Wie reagierte sein Umfeld darauf?
Er hatte ein Heer von Co-Abhängigen um sich. Die haben alles bagatellisiert. Wenn er sich im Suff angepinkelt hatte, dann hatte er halt eine Schwache Blase und wenn er umfiel, dann war es der Kreislauf. Nur der Alkohol war nie schuld an seinem körperlichen Verfall.

Letztendlich haben Sie das aber dann doch getan.
Ja. Denn mir wurde irgendwann bewusst, dass ich alles mit ihm durchgegangen bin und dass ich so nicht mehr weitermachen kann. Das war kurz nach dem Tod von meinem Vater. Der war ja auch Alkoholiker, wenn auch nicht so tief drin. Ich habe dann mein Leben wieder in die Hand genommen, habe eine berufliche Weiterbildung gemacht und es ist wieder aufwärts gegangen mit mir. Aber vorher musste ich den Ballast, der mich fast erdrückt hatte, loswerden.

Wie hat er darauf reagiert?
Er lebte damals schon in einer Sozialwohnung. Bis dahin war er immer schrecklich wütend, wenn ich ihn dorthin brachte, weil ich das dauernde Zusammenleben mit ihm nicht mehr schaffte. Aber als ich ihm sagte, dass es aus ist, und zwar endgültig. Ich brachte ihn also in seine Wohnung und er verhielt sich ganz ruhig. Er hat wohl erkannt, dass ich es ernst meine.

Hatten Sie daraufhin noch Kontakt zu ihm?
Ja, aber nur noch telefonisch. Er hat sich gefreut, wenn er sich mit mir am Telefon ein wenig aussprechen kann und das wollte ich ihm nicht nehmen, dazu hatte ich ihn zu gern. Aber mit ihm ging es immer weiter bergab. Er kam in Kreise, wo unglaublich viel gesoffen wurde. Da gab es auch Messerstechereien. Es war schrecklich. Zwei Jahre lang ging es mit ihm noch so weiter.

Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?
Ich konnte ihn am Handy nicht mehr erreichen, eine Woche lang. Da habe ich seine Mutter angerufen. Und die hat mich dann zurück gerufen und gesagt, dass er tot in seiner Wohnung gefunden wurde.

Was war passiert?
Er war mit einem Saufkumpan in seiner Wohnung. Da muss er wohl während des Saufens gestorben sein, denke ich. Seine Speiseröhre hat es wegen des vielen Wodkas ganz einfach zerrissen. Der Kumpan dürfte dann im Schock aus der Wohnung geflüchtet sein. Erst Tage später hat er die Polizei gerufen und gesagt, dass da ein Toter liegt. Als ich das alles erfahren hatte, ging es mir furchtbar schlecht.

Hatten Sie Schuldgefühle?
Anfangs nicht, weil ich wusste, dass ich alles versucht hatte. Aber ein paar Monate später begannen die Überlegungen, ob ich nicht zu viel für ihn getan hatte. Ob meine ständige Bereitschaft, alles für ihn zu tun, nicht kontraproduktiv war.

Was meinen Sie damit genau?
Es ist ja so, dass der Co-Abhängige die Therapiebereitschaft des Alkoholkranken verändert. Ich denke, dass ich ihm die Möglichkeit genommen habe zu erkennen, wie schlecht es um ihn steht. Ich hatte ja immer alles in Ordnung gebracht für ihn, ich hatte sein Leben gelebt. Wenn der Süchtige auf des Messers Schneide steht, dann ist sein Lebenswille meist stärker als die Sucht. Aber diese Möglichkeit hatte ich ihm genommen, weil ich ihm immer geholfen habe.

Was raten Sie Menschen, die in einer Co-Abhängigkeit gefangen sind?
Ich rate ihnen dazu, die Beziehung sofort zu beenden. Aber wenn der Alkoholiker dann trocken wird, dann muss man da sein für ihn, muss ihm dabei helfen, dass er wieder in sein Leben zurückfindet. Aber solange er trinkt, braucht er niemanden. Denn in dieser Zeit ist er ohnehin mit dem Alkohol verheiratet, da braucht er keinen anderen.

Zum Abschluss noch eine Frage: Gab es auch schöne Momente mit Ihrem verstorbenen Partner?
Ja, wunderschöne sogar. Wenn es ihm gut ging, dann war er sehr begeisterungsfähig. Er konnte sich über Kleinigkeiten freuen wie ein kleines Kind. Es war bei Gott nicht alles nur eine Katastrophe mit ihm. Wenn das so gewesen wäre, dann hätte ich das alles nicht so lange durchgestanden mit ihm. Es gab Höhen und es gab Tiefen. Nur leider haben die Tiefen überhand genommen und sein Leben zerstört. Und fast auch meines.

* Name von der Redaktion geändert

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)