Eine Angehörige eines Alkoholikers erzählt
Der lange Weg des Vertrauens

von Harald Frohnwieser

Alkoholismus ist eine schwere Krankheit, unter der freilich nicht nur der/die Betroffene leidet. Auch die Familie, die Freunde und Kollegen müssen damit fertig werden. Müssen oft hilflos zusehen, wie sich der Mann, die Frau, der Vater, die Mutter, der Freund oder die Freundin Tag für Tag in einen Ausnahmezustand katapultiert. Den Job ebenso wie die Freude am Leben verliert und stets eine Gratwanderung zwischen Leben und Dahinsiechen beschreitet. Ulrike M.* weiß ein Lied davon zu singen. Sie war zunächst jahrelang mit einem trockenen Alkoholiker zusammen, der im Kopf alles andere als nüchtern war und oft gewalttätig wurde, und verliebte sich dann in einen Arbeitskollegen, von dem alle wussten, dass er trank. Mittlerweile ist ihr jetziger Mann schon seit vielen Jahren trocken, doch die „nassen“ Jahre ihres Partners haben Ulrike oft bis zur Verzweiflung getrieben. Im „Alk-Info“-Gespräch erzählt sie offen und ehrlich über diese bewegte Zeit. Und über ihre Selbsthilfegruppe (Al-Anon), die ihr in all den Jahren eine große Hilfe war.

„Bei mir war es nicht so, dass ich mit einem Mann zusammen war und dann erst nach und nach drauf gekommen bin, dass er Alkoholiker ist, sondern es war genau umgekehrt“, blickt Ulrike auf die Zeit zurück, als sie sich in ihren jetzigen Mann verliebt hatte. Die Vorgeschichte: Die Handelsangestellte war mehrere Jahre lang mit einem doppelt so alten und trockenen Alkoholiker zusammen, der nicht nur verbal aggressiv sondern auch ihr gegenüber gewalttätig war. Ulrike: „Der Mann übte eine große Anziehungskraft auf mich aus, ich konnte mich einfach nicht lösen von ihm.“ Fünf Jahre war sie bereits mit ihm zusammen, als ihr damaliger Partner, der zwar von den Anonymen Alkoholikern schwärmte aber schon lange kein Treffen mehr besuchte, fast rückfällig wurde und sie dafür verantwortlich machte. „Ich wusste einfach nicht mehr weiter und habe deshalb Rat bei der Selbsthilfegruppe Al-Anon gesucht“, blickt sie zurück, „da waren an die 30 Frauen in der Gruppe, die meisten viel älter als ich. Als die von ihren trinkenden Männern erzählten dachte ich mir, dass ich hier fehl am Platz bin, weil mein Partner ja nicht trank. Aber bald bin ich drauf gekommen, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, die nicht nur mit dem Trinken zusammenhängt. Ich habe bemerkt, dass mein Partner, obwohl er nicht trank, viele nasse Verhaltensmuster hatte.“
Gefangen im Kreislauf der SuchtEs sollte noch Jahre dauern, bis Ulrike die Kraft hatte, sich von dem Mann zu trennen, der nun doch wieder die AA-Meetings besuchte und seine Gewaltexzesse einstellte. „In die Gruppe bin ich weiterhin gegangen. Da hat man mir nach der Trennung gesagt ;Einmal einen Alkoholiker als Partner, dann immer einen'. Ich habe mir gedacht, dass ich freiwillig sicher niemanden nehme, der trinkt“, muss Ulrike schmunzeln, wenn sie an diesen Vorsatz denkt.
„Ich wollte keine feste Bindung“
Doch es kam ganz anders. Ulrike verliebte sich in Robert* einen Arbeitskollegen, von dem sie und alle anderen in der Firma wussten, dass er ein Alkoholproblem hatte. „Ich wollte aber nichts Fixes, keine feste Bindung. Jeder von uns hatte eine eigene kleine Wohnung, aber es hat sich bald eingeschlichen, dass er immer öfter bei mir übernachtete“, erzählt Ulrike. Als Robert einmal betrunken war, sagte er ihr, dass er entweder eine fixe oder sonst gar keine Beziehung haben möchte. Sie hatte ihm zwar nachgegeben, aber ein ungutes Gefühl dabei gehabt. „Als ich meiner Sponsorin in der Gruppe davon erzählte dachte ich mir, dass sie mir raten wird, den Mann sofort aufzugeben, aber sie, die eine sehr spirituelle Frau ist, hat nur gemeint, dass das schon einen Sinn haben wird.“
Den Sinn sah Ulrike zwar nicht darin, ihren Partner trocken zu legen („Das wusste ich schon durch die vielen Gruppenbesuche, dass so etwas nicht geht.“), aber sie dachte, dass sie nach sechs Jahren Al-Anon bestens Bescheid weiß, wie man mit einem Alkoholiker richtig umgeht. Ulrike: „Da war auch eine gewisse Portion Hochmut dabei.“ Und: „Ich habe gewusst, dass es in erster Linie um mich und meine geistige Gesundheit geht und dass eine Co-Abhängigkeit eine ebenso schlimme Krankheit wie das Saufen ist. Dass Robert so ganz anders war als der frühere Freund, machte den Umgang mit ihm erträglicher: „Er wurde mir gegenüber nie aggressiv, weder verbal noch körperlich. Nur wenn er Schnaps getrunken hatte, kam es vor, dass er aggressiv wurde, aber anderen gegenüber. Da genügte es, dass er glaubte, jemand schaue ihn in einem Lokal auch nur schief an – und schon schoss er ein Glas in dessen Richtung. Dann bin ich aufgestanden und gegangen.“
Verleugnet hatte Robert seinen bedenklichen Alkoholkonsum nie. „Eine Therapie lehnte er ab. Er sagte immer, dass er es alleine schaffen müsse, um damit aufzuhören“, so Ulrike. Ein weiteres Problem: Ihr Freund nahm neben dem Alkohol auch andere Drogen zu sich: „Nur Heroin nicht, sonst so ziemlich alles.“
Alkohol und Kiffen – ein Teufelskreis
In erster Linie war Robert ein Kiffer. Hatte er eine Zeitlang zu viel getrunken, kiffte er mehr um weniger trinken zu müssen. Wurde ihm dann das zu viel, trank er wieder mehr Alkohol. Ein Teufelskreis, aus dem er nicht mehr raus zukommen schien. Immer öfter kam es vor, dass Robert unentschuldigt von der Arbeit fern blieb. „Dann wurde ich von unserem Vorgesetzten gefragt, was mit ihm los sei“, erzählt Ulrike, die dann immer zugeben musste, dass sie nicht wisse, wo er steckt. „Das war ziemlich peinlich. Aber ich habe in Al-Anon das Prinzip des Loslassens gelernt. Da gibt es einen schönen Spruch der lautet ,Loslassen heißt, keine Krise herbeizuführen und keine Krise zu verhindern, die sich aus dem normalen Lauf der Dinge ergibt'. Deshalb habe ich Robert nie bei seinem Chef dadurch entschuldigt, indem ich sagte, dass er zum Beispiel eine Grippe hat. Ich habe aber auch nie eine Krise herbeigeführt, indem ich dem Chef erzählte, dass mein Partner zu Hause stockbesoffen seinen Rausch ausschläft.“
Al-Alnon LogoRobert bekam einen Verweis von seinem Vorgesetzten. Noch einmal betrunken in der Firma oder ein Nichterscheinen zum Dienst wegen Trunkenheit und er fliegt. Geholfen hat es freilich nichts. „Einmal kam er an einem Donnerstag in den frühen Morgenstunden so betrunken nach Hause, dass er unmöglich am Freitag in die Arbeit gehen konnte“, erinnert sich Ulrike mit Schaudern, „da habe ich am Freitag zu unserem Chef gesagt, dass Robert nicht kommen kann. Auf die Frage nach dem Warum habe ich nur gesagt, dass er ihm das am Montag selber sagen wird. Das hat mein Chef akzeptiert.“ Am nächsten Montag packte Robert seine Arbeitssachen zusammen und übergab sie seinem Chef, so sicher war er, dass er nun entlassen wird. Aber der Chef hat ihn wider erwarten gedeckt: „Wieso, Sie haben doch am Freitag angerufen und sich krank gemeldet.“
Abstinenz mit fatalen Folgen
Über ihre Gruppe lernte Ulrike einen trockenen Alkoholiker, der zu den AA ging, kennen. „Ich habe ihn gefragt, ob er mit Robert reden will. Vorher habe ich natürlich Roberts Einverständnis dafür geholt. Denn überrumpeln darf man einen Alkoholiker nicht damit, das macht keinen Sinn“, berichtet Ulrike. Der AA-Freund kam und führte mit Robert, es war der Silvesterabend, ein langes, für Robert sehr angenehmes Gespräch. Dann gingen beide in ein AA-Meeting. Ein paar Tage später, nach dem 3. Meeting, stand für Robert fest, dass er jetzt wisse, wie es geht und dass er die Gruppe nicht mehr braucht. Die Folgen waren fatal. Ulrike: „Er hat zwar nichts getrunken, dafür aber stündlich einen Joint geraucht. Sogar bewusstlos ist er von dem vielen Kiffen geworden.“ Sie drohte mit Konsequenzen, indem sie sagte, dass sie nicht weiß, wie lange sie das noch aushalten werde können.
Es kam wie es kommen musste. Als nach vier Monaten nichts zu Rauchen vorhanden war, griff Robert wieder zum Alkohol. Nach einem durchgehenden dreitägigen Besäufnis war Ulrike mit den Nerven fertig: „Ich habe fast nur noch geweint. Ein Lehrmädchen wollte mich trösten, als es meine Tränen sah, aber ich sagte nur, dass ich Menschen habe, mit denen ich reden kann. Was hätte das Mädchen auch sagen sollen?“ Bei einer Aussprache mit ihrem Freund sagte Ulrike, dass sie dieses andauernde Gefühlschaos nicht mehr länger ertragen könne. Robert sah es ein und versprach, eine stationäre Therapie in Anspruch zu nehmen. „Er wurde sofort aufgenommen. Drei Wochen lang war alles in Ordnung mit ihm, aber schon beim ersten Ausgang hat er mit dem Kiffen wieder angefangen.“ Dass er nicht nur mit dem Alkohol, sondern auch mit Haschisch und Marihuana ein Problem hatte, wollte Robert nicht einsehen: „Ich bin ja wegen dem Saufen auf Therapie und nicht wegen dem Kiffen.“
Rückfall nach einem Jahr
Nachdem er nochmals beim Kiffen erwischt wurde, drohte ihm der Rauswurf aus der Therapie, was einen endgültigen Arbeitsplatzverlust mit sich gezogen hätte. Bei einem Krisengespräch mit den Therapeuten sah Robert endlich ein, dass er keineswegs ein Genuss-Kiffer sondern richtig süchtig nach dem Stoff war. „Er war dann voll motiviert und blieb sogar freiwillig zwei Wochen länger als vorgesehen in der Therapieeinrichtung“, erzählt Ulrike. Doch nach seiner Entlassung war Robert am Boden zerstört. „Das war sehr heftig. Er tat sich unheimlich leid, weil er weder trinken noch kiffen durfte. Es gab Phasen, da ging es ihm so schlecht, dass er nicht einmal arbeiten gehen konnte. In der Firma haben sie mich sogar gefragt, ob er wieder trinkt“, erzählt Ulrike. Und: „Er wollte sich sogar von mir trennen, weil er dachte, ich könnte seinen Anblick nicht länger ertragen.“
Besser wurde es erst nach einem Jahr, als Ulrike und Robert ihren Urlaub in Griechenland verbrachten. Doch wieder zurück, musste Ulrike ins Krankenhaus - und Robert griff prompt zum Joint. „Er hat dann ein ganzes Jahr wieder gekifft, ohne dass ich es bemerkt hatte. Erst als ich ihn mit einem Joint erwischte, wurde mir klar, was mit ihm los ist.“ Ulrike nahm das so persönlich, dass sie ihn sogar aus der Wohnung warf. Bei einer Aussprache eine Woche später gestand Robert, dass er einen großen Saufdruck verspüre. Er ging wieder zu den AA, nahm sich dort einen Sponsor und befolgte den Rat der Gruppe: „90 Tage/90 Meetings“, danach ging er sechs Mal die Woche zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker. Ulrike war erleichtert: „In dieser Zeit hat er sich so sehr verändert, dass ich ihm geglaubt habe, dass jetzt wirklich Schluss mit dem Alkohol und dem Kiffen ist. Man konnte seine geistige Gesundheit direkt sehen.“ Das war im Jahr 2005, drei Jahre später heiratete das Paar und hat nun zwei entzückende Kinder. „Wir besuchen immer noch unsere Gruppen“, so Ulrike, „ich gehe ein bis zwei Mal pro Woche in ein Meeting der Al-Anon, er drei bis vier Mal pro Woche in ein AA-Meeting.
„Ich will nicht ständig kontrollieren“
Trotzdem gab es einen Rückfall. Aber diesmal nicht von Robert, sondern Ulrike war es, die plötzlich panisch reagierte, als sie glaubte, dass Robert wieder zu einem Joint gegriffen hätte. „Er war krank und schlief deshalb im Kinderzimmer. Am nächsten Morgen dachte ich, dass ich Marihuana gerochen hätte und beschuldigte meinen Ehemann auf der Stelle.“ Nun war es an Robert, Gelassenheit zu zeigen. „Er hat freiwillig einen Drogentest gemacht, aus dem hervorgegangen ist, dass er völlig clean ist“, ist Ulrike zerknirscht. „Wenn man die eigenen Muster sieht, tut das schon weh“, gibt sie zu. Robert bot ihr auch an, Teststreifen, die man in Apotheken bekommt, zu kaufen, aber Ulrike lehnte ab. „Ich will nicht ständig kontrollieren“, sagt sie, „ich will vielmehr den Weg des Vertrauens gehen.“ Dass sie immer noch regelmäßig davon träumt, dass Robert einen Rückfall hat, tut der Liebe, die sie zu ihm empfindet, keinen Abbruch. Ulrike und Robert – zwei starke Menschen die es bis zum heutigen Tag geschafft haben, sich von der Alkoholkrankheit nicht unterkriegen zu lassen.

* Name von der Redaktion geändert

Infos: www.al-anon.at / www.al-anon.de / www.al-anon.ch

Grafik: Thomas Frohnwieser (1) Logo: Al-Anon (1)