MUSS MAN SICH GUTES GEWISSEN ERSAUFEN?

Vor der Lektüre dieses Editorials empfehle ich dringend Harald Frohnwiesers Artikel „Süßer der Rückfall nie lockt“ zu lesen. Dort erklären Experten, wie man dem alljährlichen alkoholgeschwängerten Advent mit anschließenden Feiertagen trocken entkommt. Es ist nämlich geradezu Zwang zum Alk-Konsum, der ausgeübt wird.
Etwa bei Charity-Veranstaltungen.
Die ModeratorInnen des ORF-Landesstudios Steiermark haben für die Aktion „Licht ins Dunkel“ im TV vor der Sendung „Bundesland heute“ geworben. Tenor: Die selbst ernannte Prominenz lud zum Glühweintrinken und hoffte auf offene Brieftaschen. Hilf und trink! Natürlich wurde auch Alkoholfreies geboten. Doch der Tenor der Werbung hieß nicht „kommen sie auf ein Getränk zu uns“ sondern: Wir schenken Glühwein aus.
Ein ehrenwertes Mitglied des Lions Clubs im Burgenland vergaß nie, mich im Advent in meinem Büro zu besuchen und zu fordern: „Du kommst doch auch zu unserem Punsch-Stand“. Ich mag das pick süße Zeug nicht. Noch dazu, wo es zu einem Gutteil aus purer Chemie besteht. Also orderte ich Tee – den bekam ich süß, heiß und mit einer Portion 80prozentigem Rum serviert. Tausche Leberschaden gegen gute Tat.
Fast jede/r kennt solche Veranstaltungen.
Warum muss so offensiv für Alkohol geworben werden?
Hofft man, dass Angeheiterte tiefer in den Geldbeutel greifen? Oder ist es nur der „Brauch“ dass eben im Advent mehr Alkohol getrunken wird? Der Bürgermeister einer burgenländischen Gemeinde geht zu den Geschäftsleuten und reichen Bauern im Ort und bittet um finanzielle Unterstützung für diverse Vorhaben. Er bringt – nobel, nobel – eine Flasche Sekt vom heimischen Winzer mit. Auch Pfarrer laden zu Punsch und Glühwein, auf dass die Schäfchen für die Instandhaltung von Kirche und Orgel spenden: Prost Hochwürden! Hier gibt’s dann ein „Vergelt’s Gott“ nach dem tiefen Blick ins Glas.
Das zum Thema Weihnachten. Aber es wird das ganze Jahr über fürs Spenden oder bei Fund raising Festen mit Alkohol geworben. Die Bank eines östlichen österreichischen Bundeslandes unterstützt ein kulturelles Highlight. Alljährlich im Frühling laden der Generaldirektor und sein Stellvertreter die diversen Honoratioren aus Politik und Wirtschaft ein und betteln bei Champagner und edlen französischen Weinen um ein Scherflein. Da kommen fünfstellige Eurobeträge zusammen.
Es gibt viele, die abstinent leben
Geladen wird zum „Umtrunk“. Ein Schelm, wer dabei an Mineralwasser denkt.
Es sind nicht nur trockene Alkoholiker, denen das sauer aufstößt. Es gibt genug MitbürgerInnen, die lieber abstinent leben. Warum muss man sich entschuldigen, wenn man zu den zehn gespendeten Euro keine Portion Alkohol in sich hineinschüttet. Warum muss man sich Sprüche gefallen lassen wie diesen: „Also wenn Sie jetzt, bei dieser Gelegenheit, nicht mit mir anstoßen, bin ich beleidigt!“? Warum muss man Ausreden parat haben, wie die mit den Antibiotika oder den schwachen Spruch „ich habe heute schon ein Glas getrunken, ich muss noch fahren“?
„Warum trinken Sie nicht?“
Bei einer Charity-Veranstaltung, wo ich meinen Obolus abgeliefert hatte, wollte der Hausherr auch dringend mit mir ein „Glas vom Besten“ trinken. Als ich höflich ablehnte, kam die direkte und unhöfliche Frage: „Warum trinken Sie nicht?“ Das ist unhöflich und verletzend. Ich frage auch niemanden: „Warum trinken Sie“? Inzwischen habe ich mir angewöhnt, auf die Frage nach meiner Abstinenz zu antworten: „Ich brauche keinen Alkohol.“ Das ist zwar auch nicht die oberste Höflichkeitsstufe, aber ehrlich.
Erst Glühwein, dann schwerst verletzt
Ich bringe auch zu diversen feierlichen Anlässen keine Flasche mehr mit. Es braucht zwar etwas Gehirnschmalz, sich ein anderes Geschenk als Sekt oder Wein auszudenken, es ist aber bei mir zum Prinzip geworden. Ich besuche auch keine Wohltätigkeitsveranstaltungen mehr, bei denen mit Alkohol geworben wird. Wenn mir die Sache unterstützenswert erscheint, dann bitte ich um das Konto und überweise.
In Salzburg wurde ein junger Mann schwerst verletzt aus seinem Autowrack geschnitten. Er hatte 2,2 Promille im Blut. Er war unter anderem beim Glühweinstand einer Rettungsorganisation…

Ihr Werner Schneider