STIEFKIND ALKOHOLISMUS

Dem Leiter der Inneren Medizin der Universitätsklinik Innsbruck, Professor Herbert Tilg, und seinem Team ist eine Sensation gelungen. Sie haben entdeckt, dass es möglich ist, eine alkoholbedingte Leberentzündung zu therapieren, was bisher nicht möglich war. Damit könnte viele Menschenleben gerettet werden. Aber: Die Pharmaindustrie zeigte bisher kein Interesse daran, diese Forschungsarbeit zu unterstützen. Auch vom zuständigen Ministerium bekommen die Wissenschaftler keine finanziellen Impulse, damit sie ihre ebenso wichtige wie wertvolle Arbeit fortsetzen können (siehe auch „Alkoholbedingte Leberentzündung bald therapierbar?“).
Alkoholismus ist offensichtlich immer noch eine Tabukrankheit, bei der man sich nicht profilieren kann. Leider. Wenn man bedenkt, wie viel Geld die Industrie in die Entwicklungen neuer Kopfschmerz- oder Grippemittel steckt, obwohl der Markt diesbezüglich schon längst gesättigt ist, ist es ein Skandal, dass ihnen Alkoholpatienten keinen müden Euro wert sind. Auch dass von Seiten des Gesundheitsministerium keine Unterstützung kommt, ist beschämend. Aber vielleicht sehen die zuständigen Verantwortlichen doch noch ein, dass auch Alkoholiker es wert sein müssen, am Leben zu bleiben, auch wenn die Gesellschaft immer noch denkt, man sei an seiner Suchterkrankung selbst schuld. Auf diesem Gebiet wird sich auch so schnell nichts ändern.
2015 gab es, zumindest in Österreich, einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass die Medien verstärkt darüber aufklären, dass es sich bei einer Alkoholabhängigkeit nicht um eine Charakterschwäche, sondern um eine ernsthafte und mitunter lebensgefährliche Erkrankung handelt. Große Zeitungen und der staatliche Fernsehsender ORF berichteten darüber, informierten über die verschiedenen Aspekte der Krankheit, im Fernsehen wurde eine großangelegte Diskussion zur Primetime angesetzt. Und auch wir von „Alk-Info“ wurden in der immer am Samstag ausgestrahlten Sendung „Bewusst gesund“ gefilmt. Auch in der Therapiestation „Zukunftsschmiede“, über die wir schon vor längerer Zeit berichtet haben, wurde gefilmt. Herausgekommen bei der ganzen Schwerpunkt-Aktion sind informative Berichte, die ohne erhobenem Zeigefinger vor Augen führten, dass eine Alkoholabhängigkeit jeden treffen kann, egal, welchen sozialen Status er oder sie innehat.
„Hatten wir schon…“
Seitdem aber ist Schluss mit der medialen Aufklärung, Alkoholismus kommt in den österreichischen Medien kaum mehr vor. Wird wieder totgeschwiegen wie eh und je. Eine Suchterkrankung ist eine Tabukrankheit und wird es wohl auch noch für lange Zeit bleiben. Man kann sich gut vorstellen, wie die Chefredakteure von Print und Fernsehen jeden diesbezüglichen Vorschlag mit einem kurzen „Hatten wir schon“ wieder ad acta legen. Schade. Damit ist freilich nicht gemeint, dass man jede Woche über diese Krankheit berichten muss, aber es ist leider so, dass oft nichts oder nur wenig geschieht, wenn die Medien nicht dazu bereit sind, hier Themen vorzugeben. Solange nicht in breit angelegten Kampagnen über diese Volkskrankheit berichtet wird, solange es – zumindest in Österreich – nur eine Handvoll Suchtkrankenhäuser mit unerträglich langen Wartezeiten gibt, solange (mediale) Aufklärung und Forschung ein ungeliebtes Stiefkind sind, solange wird die Zahl der Alkoholkranken bestenfalls stagnieren, vermutlich aber weiter ansteigen. Wir haben jetzt schon ein Einstiegsalter von nur elf Jahren. Einen öffentlichen Aufschrei ob dieser Tatsache hört man jedoch nicht. Was nicht sein darf, darüber wird halt geschwiegen. So einfach ist das.
Burnout aus Medien wieder verschwunden
Die Rolle der Medien ist überhaupt sehr interessant. 2012 war das Jahr des „Burnouts“. Im Fernsehen, in den Tageszeitungen, in den Wochen- und Monatszeitschriften wurden seitenlange Berichte über diese psychische Erschöpfung verfasst, wurde berichtet, welche Auswirkungen diese Erkrankung hat, wie sie therapierbar ist und was sie dem Staat kostet. Experten kamen zu Wort, Therapeuten berichteten über ihre Arbeit und Betroffene erzählten offen über ihren psychischen Zusammenbruch. „Burnout“ war in aller Munde, viele beobachteten bei sich selber, dass sie bereits ausgebrannt sind und nahmen sich vor, etwas dagegen zu unternehmen. Manchmal war es auch zu viel des Guten, nicht jede Erschöpfung war auch gleich eine gefährliche Erkrankung.
Was sich natürlich auch auf den Alkohol ummünzen lässt: Nicht jeder Schwips bedeutet eine ernsthafte Abhängigkeit. Aber so wie die Alkoholsucht ist auch „Burnout“ längst kein Thema mehr für die Medien. Was nicht heißt, dass sich viele Menschen nicht mehr ausgebrannt fühlen. Im Gegenteil. Der Druck in der Arbeitswelt nimmt zu, man muss nach wie vor zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar sein und das auch noch im Urlaub, es werden Arbeitnehmern vermehrt „All-In“-Verträge angeboten, die viele Überstunden gleich mit einschließen. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Menschen nach wie vor zusammenbrechen, ebenso darf vorausgesetzt werden, dass weiterhin auf Teufel komm raus getrunken wird.
„Alkohol 2020“
Aber das alles ist den österreichischen Medien kaum eine Zeile oder eine Sendeminute wert. In Deutschland und in der Schweiz gehen die Uhren auf diesem Gebiet zum Glück etwas anders. Hier wird regelmäßig sowohl über Suchterkrankungen als auch über psychische Zusammenbrüche berichtet. Hoffnung gibt in Wien die Aktion „Alkohol 2020“, die mehr Ambulanzen, mehr Prävention und mehr Bewusstsein auf dem Gebiet der Alkoholerkrankung schaffen soll. Wir von „Alk-Info“ werden jedenfalls darüber berichten.

Ihr Harald Frohnwieser