Harry Rowohlt, Trinker und Penner in der „Lindenstraße“, starb mit 70
Einmal „Schausaufen mit Betonung“, bitte

von Werner Schneider

Harry Rowohlt ist einem größeren Publikum aus vielerlei Gründen bekannt. Er war der „Penner“ im ARD-Dauerbrenner „Lindenstraße“. Er ist der Übersetzer von Winnie the Pooh („Pu der Bär“) und galt zugleich als dessen genialer Vortragender. Er war zudem Übersetzer zahlreicher Werke der Weltliteratur. Nicht zuletzt bekannt wurde der bekennende Liebhaber irischen Whiskeys mit seinen Lesungen, die er „Schausaufen mit Betonung“ nannte. Denn der Alkohol war für Rowohlt allgegenwärtig, jedenfalls so lange, bis er an derRowohlt bei einer Lesung mit Weißwein, die er „Schausaufen mit Betonung“ nannte (2009) unheilbaren, alkoholbedingten Nervenerkrankung Polyneuropathie litt. Obwohl ihm die Ärzte den Alkohol verboten, betrank er sich gelegentlich weiterhin. Das Multitalent starb am 15. Juni 2015 erst 70-jährig.

„Dadurch, dass ich wegen der Polyneuropathie nicht mehr saufe, muss ich mich zum Beispiel immer dazu zwingen, albern zu sein. Das geht aber sehr viel schneller, als ich gedacht habe.“ Na also, der Übersetzer und Schauspieler funktionierte auch ohne Whiskey. Ein Zustand, der für ihn jahrzehntelang unvorstellbar war. Auch wenn er es mit Humor nahm, dass er sich nicht mehr regelmäßig besaufen darf. Auf die Frage eines Journalisten, ob die Abstinenz sein Leben stark verändert habe, antwortete Rowohlt: „Wenn man vorher gesoffen hat, ist das schon ein ziemlicher Einschnitt. Aber so schwierig ist es auch wieder nicht. Ich bedaure nur, wenn ich an den vielen schönen Kneipen vorbeigehe, dass es keinen Sinn hat, da hineinzugehen. Ich muss der Menschheit ja nicht beweisen, wie viel Apfelsaftschorle ein erwachsener Mensch trinken kann.“
Krankheit als Folge vom Suff
Auf die Frage, wie er mit seiner Krankheit umgeht, antwortete Rowohlt der „taz“: „Das ist eine Krankheit, die ich nur empfehlen kann. Erstens merkt man nicht mehr, wenn man kalte Füße hat und zweitens kann man damit wunderbar Benefizveranstaltungen abblocken.“ Dass er seine Krankheit vom Trinken bekam, war ihm bewusst: „Das ist ein Euphemismus für Suff. In 33,33 Prozent der Fälle liegt es am Suff. Es könnten natürlich auch 66,6 Prozent sein. Wer weiß das schon so genau?
Lieber Werbetexter als Verleger
Das Licht der Welt erblickte der kleine Harry am 27. März 1945 in einem Luftschutzkeller in Hamburg als Harry Rupp. Max Rupp hieß der Mann seiner Mutter Maria Pierenkämper, einer Schauspielerin, der aber zum Zeitpunkt der Zeugung längst in Kriegsgefangenschaft war. Erzeuger war der Verleger Ernst Rowohlt. Harry wuchs behütet auf, besuchte die Waldorf-Schule und machte dort sein Abitur. Dem folgte eine Lehre beim Suhrkamp-Verlag in Hamburg. Damit war das Interesse des Rowohlt-Sprosses am Verlagswesen auch schon gedeckt. Trotzdem schloss er noch ein Volontariat im inzwischen von seinem Halbbruder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt geleiteten Rowohlt Verlag an. Das war’s dann – und zwar endgültig. Er heuerte bei der New Yorker Grove Press an, lernte die englische Sprache lieben und ging nach seiner Rückkehr nach Deutschland zur Werbeagentur GGK als Werbetexter.
Erfolg mit „Pu der Bär“
Seine Liebe zu „Pu der Bär“ stammt, wenn die Anekdote stimmt, aus frühester Kindheit, als ihm seine Mutter aus dem Buch vorlas. Er soll beschlossen haben, so schnell wie möglich selbst lesen zu lernen, um den Text richtig betonen zu können.
Winnie the Pooh ließ ihn sein Leben lang nicht mehr los. Er übersetzte das Werk selbst und ein Kritiker soll gesagt haben: Man möge doch die Übersetzung von Rowohlt lesen, das Original habe Schwächen. „Pooh’s Corner (Meinungen und Deinungen eines Bären mit geringem Verstand)“ hieß auch eine Kolumne in der „Zeit“, die Harry Rowohlt ab 1998 verfasste, in drei bis vierwöchigen Abständen. Irgendwann hörte der Bär in der Zeitung auf zu brummen. Er habe, so sagte er, seine Kolumnen mit wachsendem Unmut gelesen. Das schrieb er am 15. Dezember 2005. Um dann bis März 2013 weiterzumachen.
Lesungen mit Saufgelagen
Legendär waren aber seine Lesungen. Er stellte irischen Whiskey vor sich hin, oder Bier oder Weißwein und legte los. Die Lesungen unterbrach er mit Anekdoten, Sprüchen und Bonmots. Er flocht ganze Geschichten ein und so konnte sich so eine „Lesung“ schon bis zu sechs Stunden hinziehen. Hauptsache die Getränke gingen nicht aus. Der Titel „Schausaufen mit Betonung“ sollte schließlich seine Richtigkeit haben. Das Ende der Lesung war aber nicht das Ende der Veranstaltung. Danach, so erinnert sich Christian Schachinger im „Standard“ hat „er ganze Tischrunden von Verehrern und Verehrerinnen unter den Tisch gesoffen“.
Sein Ruf als Übersetzer war unübertroffen. „Harry Rowohlt ist eine singuläre Erscheinung, ein Solitär“, sagte Heinrich Schmidt-Henkel, Vorsitzender des Verbandes der Literaturübersetzer, zu dessen 70. Geburtstag.
Botschafter des irischen Whiskeys
Der deutsche Vater von Pu der Bär erhielt viele Auszeichnungen. Eine davon: Ambassador oft the Irish Whiskey“ (Botschafter des irischen Whiskey, Anm.). Treuherzig wird in manchen Nachrufen erklärt, dass er diesen Titel erhalten habe, weil er Flann O’Brien als Lieblingsautor genannt hatte. Freunde sagen, er habe die Ehrung deshalb erhalten, weil er diesem Brand öffentlich so zugetan war. Sozusagen ein wirklicher Botschafter. Doch abgesehen von diesem Titel wurde Rowohlt unter vielen anderen 2005 der Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises für sein Gesamtwerk als Übersetzer verliehen. Seine Pu der Bär-CD verkaufte sich mehr als 250.000-mal.
Zu der Rolle als Harry der Penner in der „Lindenstraße“ war er angeblich gekommen, weil er in einem Interview einmal gesagt hatte, sein Lieblingslokal sei das griechische Restaurant in der „Lindenstraße“. Man sagt, er habe die Rolle sehr authentisch angelegt. „Lindenstraßen“-Erfinder Hans W. Geißendörfer sagte: „Harry Rowohlt ist eine Lichtgestalt, er spielt den Penner und mit jedem seiner Auftritte veredelt und verzaubert er die ‚Lindenstraße‘.“
Rowohlt erklärte auch, warum er seine Auftritte „Schausaufen mit Betonung“ betitelte: „Das Publikum hat ein Anrecht darauf mitzuerleben, wie der Referent sich zugrunde richtet.“
Besäufnisse trotz Nervenerkrankung
Irgendwann diagnostizierte man bei ihm Polyneuropathie, eine Nervenerkrankung, an der 20 bis 40 Prozent aller Alkoholiker leiden. Damit war es mit dem Alkoholgenuss vorbei. Aber, so Rowohlt schelmisch, weil er sich so brav an die Abstinenz halte, habe ihm sein Arzt erlaubt, sich viermal im Jahr sinnlos zu besaufen. Wie dieses Volllaufen sich anhört, kann man in der Hörbuchfassung von Wenedikt Wassiljewitsch Jerofejefs „Die Reise nach Petuschki“ erleben. Hier seien nur Vergleiche mit Charles Bukowski erlaubt, heißt es.
Seine Lesungen ab 2009 nannte Rowohlt selbst: „Betonung ohne Schausaufen“ und er trank nur Mineralwasser auf der Bühne. Das tat deren Qualität keinen Abbruch.
Denn das Lebensmotto dieses genialen Trinkers lautete: „Sagen, was man sich denkt. Und vorher etwas gedacht haben.“ In seinen letzten Lebensjahren litt Rowohlt auch an Lungenkrebs.

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