25 Jahre „Zukunftsschmiede“ - ein Porträt
„Nicht verurteilen, sondern helfen!“

von Harald Frohnwieser

Was vor 25 Jahren mit einer Idee und mit lediglich acht Sucht-Patienten begann, entwickelte sich in all den Jahren zu einer wahren Erfolgsgeschichte: Die „Zukunftsschmiede“ in Pressbaum in Niederösterreich – vom Ehepaar Karin und Christian Voggeneder im Jahr 1994 ins Leben gerufen – ist mittlerweile aus der österreichischen Suchttherapie nicht mehr wegzudenken. Im „Alk-Info“-Gespräch blickt Christian Voggeneder auf die bewegte Anfangszeit zurück und erzählt von seinem Therapieansatz, der damals sehr ungewöhnlich, aber höchst erfolgreich war und immer noch ist.

„Alk-Info“: Herr Voggeneder, 25 Jahre „Zukunftsschmiede“ - das waren sicher sehr bewegte Jahre. Mit welchen Gefühlen denken Sie an Ihre Anfangszeiten zurück?
Christian Voggeneder: Meine Frau und ich haben 1994 mit einem sehr kleinen Projekt begonnen, das freilich im Laufe der Zeit einen größeren Umfang erreicht hat. Es war damals ein sehr entspanntes Unternehmen, das nur aus meiner Frau und mir bestanden hat.25 Jähriges Jubiläum der Zukunftsschmiede

Wie viele Patienten hattet ihr am Beginn und wie sah Ihr Arbeitsalltag damals aus?
Wir haben mit acht Leuten begonnen. Meine Frau und ich arbeiteten in einem Schichtmodus, der jeweils 24 Stunden gedauert hat. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht war meine Frau an der Reihe und dann kam ich dran.

Das muss ziemlich anstrengend gewesen sein.
Das wirkt so, aber es war überschaubarer. Acht Patienten zu betreuen ist doch etwas ganz anderes als jetzt mehr als 90, die wir haben. Auch das Administrative war wesentlich geringer.

Der Beginn Ihrer Therapieeinrichtung war in der kleinen Ortschaft Karnabrunn in Niederösterreich. Gab es vom Land eine Unterstützung?
Nein, weil wir nicht auf eine Subventionszusage warten wollten. Wir hatten die Idee, und die wollten wir ziemlich spontan umsetzen und haben ganz einfach mit unserer Arbeit begonnen. Wir haben damals Ersparnisse gehabt von umgerechnet 14.000 Euro. Somit war klar, dass wir die Miete für ein Jahr schaffen und dass wir über die Runden kommen. Aber eine Zitterpartie war es schon.

War das Projekt nur für ein Jahr geplant?
Es war als ein psychotherapeutisches Jahresprojekt konzipiert. Eine Suchterkrankung war ja damals als sehr schwer oder sogar als nicht behandelbar eingestuft. Und wenn behandelbar, dann nur auf einer arbeitstherapeutischen Basis. Meine Frau und ich wollten einfach nur eine Arbeit darüber schreiben und dann wieder damit aufhören. Aber dann bekam das Land Niederösterreich Wind davon und wir wurden gefragt, was wir da machen. Danach wurde ein Bewilligungsverfahren von der damaligen Landesrätin Liese Prokop eingeleitet. Das Land wollte neben der einen Therapieeinrichtung, die es schön länger gab, eine zweite haben. Liese Prokop, die ja eine ehemalige Spitzensportlerin war, hat sehr gut gefallen, dass unser Denkansatz genau umgekehrt zur anderen Einrichtung war.

Was kann man darunter verstehen?
Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir keine Pädagogik, die damals in der Suchttherapie üblich war, anbieten wollen. Wir wollten und wollen noch immer, dass sich unsere Patienten bei uns wohlfühlen. Wir behandeln psychische Störungen, die für die Suchterkrankung verantwortlich sind. Und uns ist wichtig, dass unsere Patienten die Therapie nicht als Strafe empfinden. Man muss verstehen, dass die Suchttherapie damals für die Patienten sehr eingeengt war. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir den Menschen, die zu uns kommen, viel Vertrauen und Freiheit geben. Das alles hat unserer Konkurrenz natürlich nicht gefallen, weil sie bislang die absolute Vormachtstellung in Niederösterreich hatten. Da gab es viele Anfeindungen gegen uns und viele Versuche, uns zum Stillstand zu bringen.

Was zum Glück nicht gelungen ist…
Genau das Gegenteil war der Fall. Unsere Konkurrenz hat mit all diesen Versuchen unfreiwillig Werbung für uns gemacht, weil sie alle zuständigen Stellen in den Bundesländern vor uns gewarnt hatten und ihnen gesagt, dass sie uns keine Patienten schicken sollen. Das hat bewirkt, dass wir im Suchtbereich in ganz Österreich schnell bekannt wurden. Das wäre sonst nicht passiert. Und so wurden wir von den Ländern kontaktiert, weil sie aufgrund der Kampagne der Konkurrenz neugierig auf uns geworden sind. Wir haben die verantwortlichen Stellen sehr schnell von unserem Konzept überzeugen können und sie haben uns dann Patienten geschickt. So sind wir schnell gewachsen. Aber die Ortschaft Karnabrunn, in der wir damals waren, hat uns ein zweites Haus zur Verfügung gestellt. So konnten wir insgesamt 20 Leute aufnehmen.

Suchtpatienten sind oft nicht gerne gesehen und manche fürchten sich vor ihnen sogar. Gab es im Ort keine Widerstände gegen sie?
Wir waren ja mitten im Ort und unsere Patienten durften sich frei bewegen. Die konnten jederzeit zur Post, ins Lebensmittelgeschäft oder zum Fleischhauer gehen. So haben die Ortsbewohner alle unsere Patienten kennen gelernt und bei den Gesprächen mit ihnen festgestellt, dass das ganz normale Menschen sind und sie keine Bedrohung darstellen. Für meine Frau und mir und für das ganze Team ist wichtig, zu helfen und nicht zu verurteilen.

Gab es überhaupt keine Kontrollen?
Doch, die gab es. Jeder Patient musste dreimal pro Woche zur Harnkontrolle. Damit konnten wir den Behauptungen, dass unsere Patienten während ihres Aufenthalts bei uns Alkohol trinken würden, erfolgreich widerlegen.

Wurde die Freiheit, die sie Ihren Patienten gaben, jemals ausgenützt?
Uns wurde von anderen Fachleuten, egal ob Ärzte oder Therapeuten, anfangs oft gesagt, dass ein Süchtiger nicht in der Lage wäre, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, auch wenn er gerade nüchtern ist. Dazu nur ein Beispiel: Unsere wenigen Patienten, die wir damals hatten, mussten ja selbst kochen. Von uns haben sie wöchentlich das Geld dazu für den Einkauf erhalten, was gar nicht so wenig war. Als wir etwas mehr Patienten hatten, waren das immerhin umgerechnet an die 700 Euro. Die hätten jederzeit mit dem Geld abhauen können, um sich Alkohol zu besorgen. Aber: In den zehn Jahren, in denen das von uns so praktiziert wurde, hat uns kein Einziger betrogen. Wobei niemand von uns speziell dafür auserwählt wurde, weil jeder Patient irgendwann einmal an die Reihe kam, den Einkauf zu besorgen.

Wenn ihr immer mehr Patienten aufgenommen habt, ist es euch dann in der kleinen Ortschaft nicht zu eng geworden?
Ja, es wurde immer enger. Wir fanden dann ein Ausweichquartier in einer Nachbargemeinde. Das hat zwar eine Zeit lang funktioniert, aber zwei verschiedene Standorte sind auf Dauer doch etwas Mühsam. Im Dezember 1998 sind wir dann hierher nach Pressbaum gezogen und haben hier immer wieder dazu gebaut, wenn die Nachfrage gestiegen ist.

Wie viele Patienten habt ihr jetzt?
Zur Zeit sind über 90 hier.

Was hat sich in den vergangenen 25 Jahren verändert?
Früher mussten wir uns mehr um die Substanzen kümmern, die eingenommen wurden. Egal ob bei Alkohol oder Drogen. Die sind jetzt aber nur noch am Rande ein Thema, wenn es zum Beispiel um die pharmakologische Wirkung geht. Vor 25 Jahren hatten wir ja noch etliche Patienten, die aus der „Love and Peace“-Bewegung kamen und bei denen der Alkohol- oder Drogenkonsum etwas aus dem Ruder geriet. Inzwischen sind jedoch die psychischen Grunderkrankungen wesentlich schwerer geworden. Wir haben jetzt sehr oft mit suizidgefährdeten Personen zu tun, auch Selbstverletzungen kommen sehr oft vor. Die heutigen Patienten haben Lebensgeschichten hinter sich, die wir früher so nicht kannten. Wir haben derzeit zum Beispiel jemanden da, dessen Vater versucht hat, ihn zu erwürgen als der Patient drei Jahre alt war. Ein anderer wiederum wäre von einem Elternteil fast ertränkt worden. Solche Lebensgeschichten haben an die 90 Prozent unserer Patienten.

Hat sich unsere Gesellschaft so sehr verändert?
Das kann durchaus sein. Es kann aber auch sein, dass wir von der Psychotherapie verstärkt zu einer Anlaufstelle für solche Patienten werden. Wir bekommen ja sehr oft Zuweisungen von Psychiatrien, weil wir oft als Zwischenstation von einer stationären Therapie und für den Weg wieder zurück in die Gesellschaft genutzt werden.

Aber ist unsere Gesellschaft nicht auch narzisstischer geworden?
Es hat sich nicht nur auf der narzisstischen Eben sehr viel verändert, sondern auch auf der egoistischen. Das Ich steht immer mehr im Vordergrund und die Wünsche dieses Ichs werden immer skrupelloser umgesetzt. Und die Eltern, die so leben, sehen nicht, dass ihre Kinder das emotional so nicht schaffen. Diese Kinder greifen dann später oft zu Alkohol oder Drogen. Oder sie konsumieren beides.

Wo sehen Sie die „Zukunftsschmiede“ in 25 Jahren?
Ich weiß es nicht. Es kann sein, dass es sie noch gibt, es kann aber auch sein, dass sie sich auflöst. Das Land Niederösterreich will angeblich an die 180 neue Betten für Patienten mit einer psychischen Erkrankung schaffen, die dann sechs Wochen dort bleiben sollen. Wenn ich das höre, dann denke ich, in sechs Wochen kann man nie das erreichen, was wir hier erreichen, weil unsere Patienten in der Regel viel länger bei uns bleiben. Aber ich höre auch, dass sich der Staat bei der Behandlung ausklinken will, deshalb sollen Privattherapien geschaffen werden, die die Patienten dann aber selbst bezahlen sollen. Aber ich sage auch, solange wir unseren sehr hohen Level weiter aufrechterhalten können und das Land hinter uns steht, wird es uns sicher weiterhin geben.

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)

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